Montag, 20. November 2006

Aufzeichnungen eines Vandalen

Ich hasse es Dinge wie "Ich habe keine Lust mehr" zu hören. Jedes mal, wirklich jedes gottverdammte mal, frage ich "Worauf", obwohl ich genau weiß wovon die Rede ist. Die Antwort ist, ebenso wie es der erste Ausspruch und die vorhergehende Frage war, stets dieselbe. "Auf alles". An dieser Stelle frage ich mich zweierlei:

1. Sollte es nicht eigentlich "Auf nichts" heissen, zumindest fände ich das Wort "nichts" an dieser Stelle passender als "alles", schliesslich ist der Sinn der Aussage ja eindeutig: "Ich habe auf nichts mehr Lust".

2. Wenn du wirklich auf nichts mehr Lust hast, dir alles gegen den Strich geht, du dein Leben so schrecklich verabscheust und auch nicht denkst es würde alles in allem besser werden, warum fällst du dann nicht endlich diese gottverdammte Entscheidung?

Beide Gedankengänge bleiben unausgesprochen. Ersteres erscheint mir der Ernsthaftigkeit der Situation nicht gerecht zu werden, zweiteres erscheint mir zu ehrlich und zu viel Verantwortung mit sich zu bringen. Überdies weiß ich ganz genau, das von mir keine Ehrlichkeit und keine rationale Herangehensweise gewünscht wird, sondern eine verheuchelte Art der Hilfe. Aber ich bin nett. Ich steige wirklich meistens darauf ein, nenne oberflächliche Gründe warum ihre Situation doch angeblich Potenzial besäße, zähle auf an welchen Dingen sie sich festhalten könnte und behaupte es sei doch alles garnicht so schlimm, obwohl ich weiß wie sehr sie leidet.

Doch es gibt Tage an denen ich mich nicht dazu in der Lage fühle, ihr zu sagen es würde anders, besser werden. An diesen Tagen schluchzt sie in den Hörer, die Nase ist zur selben Zeit verstopft und läuft, was während ausgiebigen Weinens nichts besonderes ist, zumindest nach meinem Erfahrungswert zu urteilen und es wird minutenlang geschwiegen. Ein sehr aktives Schweigen, denn sie ist, wie schon beschrieben, beschäftigt und ich versuche mich dazu zu überreden ihr ein weiteres Mal stinkig geheuchelten Mut zu machen. Eines Abends fragte ich sie allzu berechnend, ob sie wirklich glaube es würde nicht besser werden, ob sie noch Kraft oder Mut besäße. Sie antwortete "Nein, es geht schon so lange so". Der Zweck meiner Argumentation war eindeutig, das hörte man ohne Probleme und sieht man nun aufgeschrieben auf den ersten Blick. Als Antwort auf ihr "Nein, es geht schon so lange so", vernahm sie ein "Ja, dann" aus meinem Munde. Was ich damit eigentlich besagen wollte ist klar.

Es war schon immer so: Meine Meinung zu der gesamten Sache, meine wirklich ehrliche Meinung, meine nicht durch Zwischenmenschliches und Veratntwortungsängste getrübte Meinung, ist, soll sie es doch tun. Utilitaristisch gedacht nähme sie sich mehr Schmerz als potentielles Glück und, ihren Aussagen nach zu urteilen, mehr Verzweiflung als Harmonie. Wer nimmt nicht lieber 80 Euro als 50? Und ich würde schon darüber hinweg kommen, ganz gleich wann, wie lange. Aber kann ich es wagen ihr diese Rechnung ehrlich zu offenbaren? Kann ich mir diese Verantwortung aufbürden? Sollte ich? Es gibt keine Lösung für diese Art von Mensch, für diese Art von Krankheit. Die einzige Lösung beruht auf Drogen, oder anders ausgedrückt, Medikamenten. Aber kann ich es wagen ihr diese Rechnung ehrlich zu offenbaren? Kann ich mir diese Verantwortung aufbürden? Sollte ich?

Ich werde ein verfluchter Mörder sein.

20. November 2006

Der Deutsche verlernt das Töten, das beste Beispiel gab erst heute der süße Emsdettener. Natürlich hatte er auch einen Blog. Und der Abschiedsbrief. Man beachte auch die Kommentare zum letzten Eintrag seines Blogs. Habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Empfinde sehr viel mehr Mitleid als ich seine Tat verurteile.

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Sterben

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