Von Wartezimmern und allgemeinen Symptomen
"Was kann ich für sie tun?", fragte die junge auszubildende Arzthelferin und ich fühlte wie mich bereits etwas Ärger ergriff, denn ich hasste diese Frage schon immer. Früher wusste ich nie was ich auf diese Frage antworten sollte, war mir nicht sicher ob die Arzthelferin bereits erste Beschwerden erfahren wollte oder ob sie wirklich nur eine Büroangestellte war. Heute ist mir bewusst das das Erwähnen von Symptomen und Krankheitsbild unnötig ist, doch der Hass auf diese Frage ist geblieben.
"Ich wollte zu irgendeinem Arzt", bekam sie als Antwort, was mir im Nachhinein zu schroff erscheint. Sie nahm die Versichertenkarte, zog sie durch ein Lesegerät und untersuchte meinen Praxisgebührennachweis auf Aktualität.
"Vor Ihnen sind noch drei Patienten."
"Okay."
Ich begab mich in das Wartezimmer und war froh dass sie sich wenigstens das obligatorische "Sie können so lange noch im Wartezimmer Platz nehmen" gespart hatte. Als sei dies irgendein privilegiertes Vorrecht oder sonst etwas.
Im Wartezimmer warteten vier Menschen darauf dass eben erwähnte Angestellte ihren Namen aufrufen würde. Zum einen wusste ich dass es allgemein üblich war die Insassen des Wartezimmers zu begrüßen, zum anderen erlag ich dem Gedanken, diese Menschen seien Fremde und ich würde ihnen im besten Falle nie wieder begegnen. Ich begrüßte demnach nicht. Uns alle verband dasselbe Schicksal, also nahm ich, nachdem ich meine Jacke an die Garderobe für Kleinkinder gehängt hatte, mir erschien das Benutzen von Kleiderbügeln seit jeher unendlich kompliziert und im Falle des Vorhandenseins einer Kleinkindergarderobe unendlich unnütz, Platz. Mir gegenüber saß eine Mutter samt Kind, deren Blick bedeutete, sie sei genervt von der Krankheit ihres Kindes, es Leid ihm die triefende Nase wieder und wieder zu putzen und eigentlich zu geschäftig um in diesem Raum auf irgendwelche sich unterhaltenden Ärzte zu warten. Ihr Kind hatte seinen Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt, aus dem es wohl vor ca. drei Jahren gekrochen war, und ihm war die Krankheit ins Gesicht und insbesondere auf die wunde und rote, vom Naseputzen angegriffenen Nasenflügel geschrieben. Im Laufe unserer gemeinsamen Wartezeit putzte Frau Mutter ihrem Kind zweimal mit demselben Taschentuch die Nase. Dem feuchten Fetzen Papier war anzusehen, das dies nicht die ersten beiden Male waren. "Vielleicht nicht unbedingt angenehm", dachte ich.
Rechts von mir saßen ein 60-jähriger Mann und eine ebenso alt ausschauende Dame. Der Mann las eine "Auto, Motor, Sport" und ich schenkte ihm keine weitere Beachtung. Er fesselte ganz einfach meine Aufmerksamkeit nicht, was einen simplen Grund hatte. Die leicht übergewichtige und, um es nett auszudrücken, nicht besonders attraktive, zwei Stuhllängen von ihm entfernt sitzende Frau, gefiel mir sehr. Sie trug schwarze, einen billigen Eindruck machende Lackschuhe, eine schwarze Strumpfhose und einen schwarzen Rock, der ungefähr zwanzig Zentimeter über ihren Rock ragte. Damit nicht der Eindruck entsteht ihr Kostüm sei aufeinander abgestimmt gewesen, sei noch erwähnt, das innerhalb dieser drei Kleidungsstücke vier verschiedene Schwarzabstufungen zu finden waren: Die Strumpfhose war neu, sah noch nicht ausgewaschen und sehr tief aus. Die Schuhe bestanden aus zwei verschiedenen Arten von Kunstleder. Ein Teil war glänzend, der andere einfach ungepflegt und schäbig. Der Rock wiederum schien den Aufdruck "Lieblingsrock" zu tragen, denn sein Schwarz glich auf eine ausgewaschene Weise einem dunklen Weiß. Wie auch immer man sich dies vorzustellen hat. Ihr Oberkörper war von einem orange-farbenen, weiten Pullover bedeckt. Doch die Wahl ihrer Garderobe war natürlich nicht, was mich auf sie aufmerksam werden ließ. Es war die Übereinstimmung ihrer eindeutigen Hässlichkeit, mit der Hässlichkeit ihres Benehmens, was mir an ihr so sehr gefiel. Sie keuchte, ächzte und stöhnte wundervoll eindringlich. Sie hustete nicht einmal richtig, nein, sie begnügte sich damit auf eine eigensinnige Art zu würgen. Doch tat sie dies nicht durchgängig, natürlich nicht. Ihr Gewürge war nur ein Drittel ihres Verhaltensmusters, ihres Funktionierens. Das mittlere Drittel, um genau zu sein. Am Anfang stand Der-Kopf-Im-Nacken, um ihn, die Augen geschlossen haltend, an die Wand zu lehnen. Diese Haltung sah nicht unbedingt gemütlich aus, doch schien es sie zu entspannen. Wann immer sie sich aus dieser Position hinaus bewegte, folgte ein kurzes Würgen, was sie allerdings wohl als Husten definieren würde. Wie dem aus sei, es klang nach Galle. Anschließend wuchtete sie ihren massigen Oberkörper nach vorne, um einen Ausblick aus dem, sich neben der Einganstür des Wartezimmers befindlichen, Fensters zu erhaschen. Während des Nachvornebeugens gab sie unzufriedene Geräusche von sich. Aus ihrer platt gedrückten, riesigen Knorpelnase stieß sie Unmengen von Sauerstoff aus, mit einer schier unnachahmlichen Lautstärke. Sie schien ungeduldig zu sein, vielleicht jedoch auch einfach nur sehr krank. Mir kam ersterer Gedanke zuerst.
Lesend wartete ich. Zuerst verließ mich die Kleinfamilie, wobei die Mutter beim aufstehen schniefte, als sagte sie auf einer fremden Sprache "endlich". Als nächstes wurden Herr und Frau BlaBla aufgerufen. Die beiden nicht einmal nebeneinander Sitzenden, geschweige denn ein Wort miteinander Wechselnden, 60-jährigen Personen, waren verheiratet und gemeinsam hier. Sie verließen mein Heim wiederum schweigend. Ich war alleine mit meinem Buch.
"Ich wollte zu irgendeinem Arzt", bekam sie als Antwort, was mir im Nachhinein zu schroff erscheint. Sie nahm die Versichertenkarte, zog sie durch ein Lesegerät und untersuchte meinen Praxisgebührennachweis auf Aktualität.
"Vor Ihnen sind noch drei Patienten."
"Okay."
Ich begab mich in das Wartezimmer und war froh dass sie sich wenigstens das obligatorische "Sie können so lange noch im Wartezimmer Platz nehmen" gespart hatte. Als sei dies irgendein privilegiertes Vorrecht oder sonst etwas.
Im Wartezimmer warteten vier Menschen darauf dass eben erwähnte Angestellte ihren Namen aufrufen würde. Zum einen wusste ich dass es allgemein üblich war die Insassen des Wartezimmers zu begrüßen, zum anderen erlag ich dem Gedanken, diese Menschen seien Fremde und ich würde ihnen im besten Falle nie wieder begegnen. Ich begrüßte demnach nicht. Uns alle verband dasselbe Schicksal, also nahm ich, nachdem ich meine Jacke an die Garderobe für Kleinkinder gehängt hatte, mir erschien das Benutzen von Kleiderbügeln seit jeher unendlich kompliziert und im Falle des Vorhandenseins einer Kleinkindergarderobe unendlich unnütz, Platz. Mir gegenüber saß eine Mutter samt Kind, deren Blick bedeutete, sie sei genervt von der Krankheit ihres Kindes, es Leid ihm die triefende Nase wieder und wieder zu putzen und eigentlich zu geschäftig um in diesem Raum auf irgendwelche sich unterhaltenden Ärzte zu warten. Ihr Kind hatte seinen Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt, aus dem es wohl vor ca. drei Jahren gekrochen war, und ihm war die Krankheit ins Gesicht und insbesondere auf die wunde und rote, vom Naseputzen angegriffenen Nasenflügel geschrieben. Im Laufe unserer gemeinsamen Wartezeit putzte Frau Mutter ihrem Kind zweimal mit demselben Taschentuch die Nase. Dem feuchten Fetzen Papier war anzusehen, das dies nicht die ersten beiden Male waren. "Vielleicht nicht unbedingt angenehm", dachte ich.
Rechts von mir saßen ein 60-jähriger Mann und eine ebenso alt ausschauende Dame. Der Mann las eine "Auto, Motor, Sport" und ich schenkte ihm keine weitere Beachtung. Er fesselte ganz einfach meine Aufmerksamkeit nicht, was einen simplen Grund hatte. Die leicht übergewichtige und, um es nett auszudrücken, nicht besonders attraktive, zwei Stuhllängen von ihm entfernt sitzende Frau, gefiel mir sehr. Sie trug schwarze, einen billigen Eindruck machende Lackschuhe, eine schwarze Strumpfhose und einen schwarzen Rock, der ungefähr zwanzig Zentimeter über ihren Rock ragte. Damit nicht der Eindruck entsteht ihr Kostüm sei aufeinander abgestimmt gewesen, sei noch erwähnt, das innerhalb dieser drei Kleidungsstücke vier verschiedene Schwarzabstufungen zu finden waren: Die Strumpfhose war neu, sah noch nicht ausgewaschen und sehr tief aus. Die Schuhe bestanden aus zwei verschiedenen Arten von Kunstleder. Ein Teil war glänzend, der andere einfach ungepflegt und schäbig. Der Rock wiederum schien den Aufdruck "Lieblingsrock" zu tragen, denn sein Schwarz glich auf eine ausgewaschene Weise einem dunklen Weiß. Wie auch immer man sich dies vorzustellen hat. Ihr Oberkörper war von einem orange-farbenen, weiten Pullover bedeckt. Doch die Wahl ihrer Garderobe war natürlich nicht, was mich auf sie aufmerksam werden ließ. Es war die Übereinstimmung ihrer eindeutigen Hässlichkeit, mit der Hässlichkeit ihres Benehmens, was mir an ihr so sehr gefiel. Sie keuchte, ächzte und stöhnte wundervoll eindringlich. Sie hustete nicht einmal richtig, nein, sie begnügte sich damit auf eine eigensinnige Art zu würgen. Doch tat sie dies nicht durchgängig, natürlich nicht. Ihr Gewürge war nur ein Drittel ihres Verhaltensmusters, ihres Funktionierens. Das mittlere Drittel, um genau zu sein. Am Anfang stand Der-Kopf-Im-Nacken, um ihn, die Augen geschlossen haltend, an die Wand zu lehnen. Diese Haltung sah nicht unbedingt gemütlich aus, doch schien es sie zu entspannen. Wann immer sie sich aus dieser Position hinaus bewegte, folgte ein kurzes Würgen, was sie allerdings wohl als Husten definieren würde. Wie dem aus sei, es klang nach Galle. Anschließend wuchtete sie ihren massigen Oberkörper nach vorne, um einen Ausblick aus dem, sich neben der Einganstür des Wartezimmers befindlichen, Fensters zu erhaschen. Während des Nachvornebeugens gab sie unzufriedene Geräusche von sich. Aus ihrer platt gedrückten, riesigen Knorpelnase stieß sie Unmengen von Sauerstoff aus, mit einer schier unnachahmlichen Lautstärke. Sie schien ungeduldig zu sein, vielleicht jedoch auch einfach nur sehr krank. Mir kam ersterer Gedanke zuerst.
Lesend wartete ich. Zuerst verließ mich die Kleinfamilie, wobei die Mutter beim aufstehen schniefte, als sagte sie auf einer fremden Sprache "endlich". Als nächstes wurden Herr und Frau BlaBla aufgerufen. Die beiden nicht einmal nebeneinander Sitzenden, geschweige denn ein Wort miteinander Wechselnden, 60-jährigen Personen, waren verheiratet und gemeinsam hier. Sie verließen mein Heim wiederum schweigend. Ich war alleine mit meinem Buch.
Fountain - 27. Nov, 18:29