Samstag, 30. Dezember 2006

Eine Erzählung noch ohne Titel; Erstes Kapitel

Die Strassen auf denen das Wasser nur noch seicht und gelegentlich im Rinnstein stand, begannen bereits in der Mitte zu trocknen, während sie umso weiter man gen Bürgersteig schaute noch angenehm feucht glänzten. Als könnten sie sich nicht recht entscheiden, als zögen sie in Betracht das es so oder so bald wieder regnen werde, sich die Mühe des Sich-Trocknens demnach nicht lohne, allem voran im November. Einem sehr grauen November der den Vorgang des Trocken-Werdens durch Unentschlossenheit und hohe Luftfeuchtigkeit zäh in die Länge zieht. Ähnlich einer Einsicht, einer aus jener resultierenden Idee welche sich aufgrund von fehlenden Mutes, oder negativer ausgedrückt, aufgrund von Feigheit niemals in die Realität umsetzen lassen wird. Wer aber trägt nun die Schuld an nassen Strassen? Man selbst, der November, die Einsicht, die Luftfeuchtigkeit, die Idee, die Unentschlossenheit oder die Feigheit? Es bleibt doch bei unveränderlich gegebenen Gegebenheiten.
Auf eben jenen schrecklich demotivierten Strassen trafen sich zwei Menschen nicht zufällig. Sie waren verabredet, fanden einander abscheulich hübsch und waren doch, nein, wahrscheinlicher deswegen, über alle Maßen unentschlossen. Und das da ihr Rendezvous auf folgende Art und Weise entstanden war:
Monsieur wusste um das Interesse das Madame an ihm hatte, denn er hatte schön viele ähnliche Blicke von Damenerhalten, gelegentlich gar provozierend erobert. So hatte er denn gelernt die Verschiedenheit jedes Gesichtes während zwischenmenschlichen Interaktionen abzustreichen und nur eine immer gleiche, stereotype Maske zu erkennen. Eine gefilterte Essenz von der man nur einen Tropfen aus einer Pipette auf einen beliebigen Menschen geben muss, um feststellen zu können welche Art von Interesse dieser Mensch an jemandem hat. Mit mathematischer Genauigkeit konnte Monsieur einzelne Chemikalien und verschiedene Bestandteile unterscheiden, diese zu einer Gleichung aneinanderreihen und dadurch Inhalte, Zweckmäßigkeiten und Kundgebungen aller Blicke zu denen das menschliche Gesicht im Stande ist differenzieren: Die von Sympathie, „Ich bin schon vergeben“ -Sympathie, Antisympathie und von sexuellem Interesse zeugenden Mimiken. Er war der Meinung es gäbe nur eine handvoll wirklicher Gefühle, vorzugsweise „Zutaten“ genannt, welche es herauszuschmecken gilt, um aus diesen jede andere Form einer Beziehung zwischen zwei Menschen zusammenzumischen. Eine Speise also aus der man verschiedene Ingredienzien herausschmecken kann. Was man nicht exakt herausschmeckt könne man via Ausschlussverfahren abhaken, bis man schlussendlich zu einem eindeutigen Gericht gelangt das man benennen kann. Auch hierbei steht wieder eine mathematische Vorgehensweise zur Verfügung: Von groben Grossen zum feinen Kleinen. Vorspeise, Hauptgang oder Nachtisch, im Sinne von Sympathie, Antisympathie oder Gleichgültigkeit. Suppe, Pudding oder Steak, eine eindeutig zu beantwortende Frage der Konsistenz. Diesen Beispielen folgend fährt man fort bis man zu einem eindeutigen Befund gelangt. Wildhasenfilet im Blätterteig auf Lebkuchensoße.
In der Eigenart seiner Anschauungen glich sein Inneres seinem Äußeren vorzüglich, denn der Glanz seiner Augen war für den aufmerksamen Beobachter wohl auffälliger als es tiefschwarze, rote oder karierte Augen wären. Trotzdem man seine Augen eindeutig als glänzend bezeichnen musste, stand doch außer Frage das sie auf eine neblige, undurchschaubare Art matt funkelten die einem Autoscheinwerfer unromantisch ähnelten, der noch weit entfernt liegt und durch steten, prasselnden Regen verschwimmt. Seine gesamte Physiognomie setzte nach diesem unauffällig auffälligen Bauplan zusammen. Eine feine Nase die durch einen leichten Hügel in der mittleren Region nicht zu offensichtlich schön war, sondern erst durch diesen minimalen Makel greifbar wurde. An einer einzigen Stelle des Gesichtes, es handelte sich um den linken Mundwinkel, war seine Haut spröde. Der Rest war sauber rasiert und weder zu trocken noch zu gepflegt. Beinahe hätte man denken können das Gesicht sei sorgfältig eingerieben worden, nur die spröde Stelle um den linken Mundwinkel herum sei, ebenso sorgfältig wie selbstverständlich mutwillig, ausgelassen worden. Desgleichen waren die Augenbrauen dieser Person arg offensichtlich ungezupft, doch den Eindruck eines Ausdruckes erweckend. Als wüsste er um die Konsequenzen die das Entfernen des Übergangs von der linken zur rechten Augenbraue mit sich brächte. Als fürchtete er eine allzu offen daliegende Schönheit.
Madame schienen diese beinahe nicht vorhandenen Makel, innerhalb seiner ebenso nur beinahe vorhandenen Makellosigkeit zu gefallen, denn sie machten ihr Mut. Sie zog einen Erfolg zumindest in Betracht. Obwohl sie elegant aussah, niemand hätte wohl die Unerschrockenheit sie als hässlich zu bezeichnen, war sie sehr subjektiv hübsch. Zwar ist Attraktivität niemals gesetzmäßig, doch lag in ihrem Falle einen besondere Bandbreite von Meinungen vor. Die einen mochten große Nase, weite, schwarz geschminkte Tiefseeaugen und dicke Lippen nicht, sagten sie sei ihnen gar nicht aufgefallen oder sie hätten sie zwar wahrgenommen, jedoch nicht als schön oder hässlich. „Ganz okay“, hörte man Leute ebenso oft sagen wie „Was? Von wem redest du?“ Seltener traf sie auf Männer die sie wirklich verehrten, kam dies jedoch vor zählte sie für diese Menschen zumeist zu dem schönsten Dutzend Frauen die sie je gesehen hatten. Eine breite Bandbreite also, die es ihr unmöglich machte ihren eigenen Marktwert einzuschätzen, ein selbstbewusstes Auftreten gleichsam verhinderte. Sie zweifelte an ihrer eigenen Schönheit, wohingegen andere nicht begreifen konnten wie man ein solchen wohl komponiertes Gesicht nicht begehren konnte, man nicht das Verlangen entwickelte über ihre angenehm riechenden Puderwangen zu streicheln oder den Finger sanft über die milchig weichen Lippen dieses perfekt abgestimmten Gemäldes gleiten zu lassen.
Monsieur zählte zur letzteren Gruppe, zu denen die Ideal und Traumerscheinung dieser Dame hoch achteten. Und so verlief alles auf einem bereits platt- und festgetretenen Weg: Der Herr hatte seine Gleichung aufgestellt, ein Tröpfchen Essenszaufgetragen die ihm sowohl verriet welche Art von Interesse Madame an ihm hatte, als auch feststellen ließ das sie von ihrer eigenen Person alles andere als überzeugt war. Ihr Bewusstsein sagte sie dürfe sich zwar Chancen einrechnen, ohne das die Aussicht jedoch sicher begründet wäre, ganz im Gegensatz zu denen des Herren. Der Gedanke an diese vermeintlichen Chancen konnte lediglich entstehen da sie ein paar wenige Makel an ihm entdeckt hatte, beispielsweise der trockene Mundwinkel, die ungezupften Augenbrauen oder aber die etwas längeren Haare, denen man ansah das er sie weder mutwillig lang wachsen ließe, noch vor kurzem oder überhaupt regelmäßig einen Friseur besuchte, wodurch sie einen Marktwert sinken sah und sich selbst erfolgreiche Aussichten einzurechnen erlaubte. Die Sicht beider Beteiligten war lohnenswert und versprach Bestätigung und Erfahrung, auf einer simplen Basis auf der sich im Nachhinein aufbauen lassen würde. Beide nutzten die ersten, bereits jetzt erkannten Schwächen des jeweils anderen aus. Beiden konnte kein Außenstehender etwas verübeln, nicht einmal sie selber konnten es ja dem anderen verübeln, da dies schon zu diesem Zeitpunkt alles zerstört hätte. Ganz im Gegenteil, man sollte ihnen applaudieren!
Die Situation lag wie ein offenes Kartenspiel auf einem sehr großen Tisch dar, der keinem der Spielenden ermöglichte die Vorzüge eines offenen Kartenspiels auszunutzen. Im Allgemeinen ist diese offene Spielweise nicht mehr als Bequemlichkeit, denn sein Blatt über Stunden hinweg in den Händen zu halten, fest und sicher verdeckt, kann zu einer anstrengenden Qual werden. Trotz dieser Gegebenheiten herrschte eine allgemeine Unsicherheit vor, auf beiden Seiten, die verstärkt wurde durch die Tatsche das bereits während des Verabredens der Verabredung, via Telefon entstanden, es zu einem Schweigen gekommen war. Kurz nachdem die ersten unabdingbar notwendigen Floskeln und unabdingbar stereotypen Phrasen ausgetauscht waren und sowohl der Ort als auch die Zeit des Treffens feststanden, wusste niemand so recht wie nun weiter vorzugehen war. Sollte man schon auflegen, möglicherweise unhöflich oder uninteressiert erscheinen, trotzdem ja das Ziel des Telefonats erreicht worden war? Sollte man versuchen den Menschen an der anderen Seite der Leitung zum Lachen, zumindest zum Schmunzeln zu bringen und in Betracht ziehen sich wohlmöglich lächerlich zu machen , den Humor des anderen nicht zu treffen oder als unseriös aufzutreten? Und das schon in einer so frühen Phase. Es galt demnach wichtige und richtige Entscheidungen zu treffen, was logischerweise Zeit in Anspruch nimmt. In diesem Falle entschied Monsieur, das Risiko bereits jetzt einen irreparablen Fehler zu begehen sei zu groß, was ihn, nach einer schweigsamen Überlegungsphase, dazu verleitete das Gespräch mit einer freundlichen Verabschiedung und der Kundgebung von Vorfreude zu beenden. In dieser Reihenfolge, welche er im Nachhinein für falsch bewog und ihn unsicher stimmte, da er davon ausging Madame hätte diese Schwäche in seiner Ausdrucksweise bemerkt. Nach dem Telefongespräch resümierte der Herr indem er sich einredete: „Es wurde alles gesagt. Das Treffen steht fest.“ Die Dame ihrerseits redete sich ein, es sei besser einen lakonischen als einen übertrieben redseligen Menschen sich gegenüber zu haben. Diese Erfahrung hatte sie gemacht. Sie gab lieber wenig Unwichtiges von sich als viel.
Monsieur wartete auf dem leicht orange angefärbten Bürgersteig auf die seine Verabredeung. Nicht das er es für unangenehm gehalten hätte als Mann zu spät zu kommen, jedoch die Zeitpläne der Buslinien gaben ihm nur die beiden Optionen entweder zu spät oder zu früh zu kommen. Es knurrte ihm der Magen. Als er sie auf dem Rad sich ihm nähern sah, sie wohnte in der Nähe des Treffpunktes, vielleicht ward der Ort aus rein logistischen Gründen auserwählt, bemerkte er wie so oft wie unschön lange Frauenhaare aussehen, werden sie vom Fahrtwind verweht und aus ihrer geplanten, vorbereiteten Form gerissen. Auf der ihm gegenüberliegenden Strassenseite hielt sie an, stieg vom Rad, schloss es ab und lächelte den Menschen an den sie erwartet hatte. Keinen anderen. Dieser Vorgang sah aus, als ginge er maschinell von statten, ohne auch nur einen Gedanken an das Geschehene verschenkt, oder besser verschwendet zu haben. Demnach war der Eindruck den ihr Lächeln machte ein ebenso maschineller, zwar gut funktionierender, doch lediglich als letzter Teil eines Arbeitsschrittes anzusehender. Ihre Verabredung bemerkte die Studiertheit ihres Verhaltens, ohne sie im Geringsten zu verurteilen. Er sagte sich dreierlei: Erstens dachte er es sei angenehmer ein gut geplantes Schmunzeln zu beobachten, als ein ungeschickt ausschauendes, unvorbereitetes. Zweitens erwartete er ganz einfach nicht mehr. Und drittens hatte er sich ein Ähnliches vorgestellt, fühlte sich in dem Ergebnis seiner Gleichung also bestätigt, was ihm mehr gefiel als positiv überrascht und dabei gleichzeitig enttäuscht zu werden. Er mochte es mehr sich selbst zu gefallen, als es ihm gefiel Gefallen an anderen zu finden. Dies verhieß ein länger anhaltendes Besitztum zu werden. Ein sowohl gängiges als auch verständliches Verhaltensmuster.
Madame musste ein paar Autos abwarten bevor sie Fahrbahn überqueren konnte. Ein unangenehmer Ausgangspunkt. Beide Beteiligten standen sich, würde man eine den Bürgersteig rechtwinklig treffende Gerade quer über die Fahrbahn ziehen, exakt gegenüber. Sowohl Aufregung als auch Ernüchterung und damit einhergehende Reue passierten das Geschehen augenblicklich. Jedoch verschwanden diese Regungen infolge der Begrüßung jäh.
Der Ablauf der Begrüßung stand schon fest, was in Anbetracht der Bedeutung der dieser zukommt nur allzu einleuchtend sein sollte. Monsieur fragte aus einer angemessenen Entfernung heraus „Wie geht es dir?“. Angemessen war sie daher, da er kurz nach Beendigung des Satzes eine willkommen heißende Umarmung anschliessen konnte, ohne das man ihm entweder schlechte Planung, noch Gezwungen- bzw. verfrüht unangebrachte Ungezwungenheit hätte vorwerfen können.
„Ganz gut. Ich freue mich immer auf Abende wie diese, wirklich. Außerdem war ich schon lange nicht mehr aus.“, sagte sie noch immer lächelnd, allerdings ohne Vorsatz.
„Schön, ich freue mich auch sehr. Was haben wir denn vor?“ Freilich hatte er eine Planung des Abends festgelegt, doch wollte er nicht zu führend herüberkommen.
„Ich weiß es nicht. Mir ist es gleich. Vielleicht setzen wir uns erstmal in irgendeinen Laden, es macht schon den ganzen Tag einen Eindruck als könne es jeden Moment zu regnen anfangen“, womit sie ausnahmslos recht hatte, denn trotz des vorhergegangenen Regenschauers und des schon etwas vorangeschrittenen Abends war der Himmel noch immer als schwarz identifizierbar. Hinzu kam eine auffällige Art von Wind die man noch nicht als peitschend bezeichnen konnte. „Ich bin sehr offen was die Wahl des Lokals angeht. Nur war ich vor einigen Wochen in einer Bar die ‚Schwarzes Schaf’ hieß, glaube ich. Mir gefiel das Publikum dort nicht und irgendwann wurde ein Besucher schrecklich grob.“
„Wir könnten ein wenig durch die Strassen flanieren und uns dann irgendwann entscheiden, wohin wir uns setzen werden.“
„Einverstanden“, pflichtete Madame ihm bei, wobei sie sich vornahm nicht lange zu fackeln was die Wahl des Etablissements anging. Zum einen bemerkte sie nun da sie vom Fahrrad gestiegen war, erst recht das ihr und vor allem ihre Finger kalt waren, zum anderen wollte sie etwas Alkohol in ihrem Blut spüren, allein um sich leichter beeindrucken zu lassen.
Beide bewegten sich auf dem Bürgersteig nebeneinander, miteinander redend, sich kennen lernend. Links von ihnen stets der Rinnstein, dann gelegentliche Gullideckel, als nächstes die Fahrbahn auf denen Autos von Menschen mit Zielen dahinsteuerten, wieder ein Rinnstein, wieder der Bürgersteig auf dem matte Gesichter ihre eine vor sich her schleppten. Eingerahmt wurde die gesamte Szenerie durch Häuser auf beiden Seiten des Weges. Die Altstadt durch die sie schlenderten besaß nur kleine Seitenstrassen, ein Haus reihte sich zumeist nahtlos an das nächste. Von Zeit zu Zeit eine Einfahrt, eine Kneipe, ein Kino oder ein umfunktionierter Kuhstall. Ein Ende der Strasse war nicht abzusehen, denn Lichter funkelten hier und dort und schlichtweg überall. An jeder Hauswand brannte Licht, am Horizont flackerten stecknadelgroße Funken und am Himmel mussten sich Sterne erst durch Regenwolken kämpfen, wodurch nur wenige Planeten sichtbar wurden auf die man hätte ausweichen können. Doch dieser Tatbestand fiel erst gar nicht auf, denn wer schaut schon bei solchem Wetter gen Himmel? Die Frage stellte sich ganz einfach nicht, denn vor einem lag diese Strasse die es hinabzuschlendern galt, auf der Suche nach einer Schenke samt Sitzplätzen. In einer Kneipe sah man durch die teilweise spiegelnden Fenster blickend Menschen mit Jeans, Pullover, Hemd, Rock oder T-Shirt. Männer mit kurzen, Frauen mit langen Haaren. Offen, zu einer aufwendigen Friseur gebunden oder mit Gel und Wachs sortiert und gebändigt. Auf den Tischen Gläser mit Bier, Wein oder farbig frohen Mischgetränken. Auf den Gesichtern eine Art von Zerstreuung und Amüsement die offensichtlich darlegte, das diese Abende ein Versuch waren über trostlose Verwirrung hinwegzuhelfen. Sie lachten auf eine Weise so ausgelassen, sich so berechnend ablenkend, dass schon jedes Schmunzeln einem bewussten Selbstbetrug glich. Aber man müsste doch nur auf die Augen achten. Diese verzogenen Münder sollen doch nur kaschieren was die Augen herauszuschreien versuchen: „Ich kenne dieses Glas Bier, seine Wirkung und meinen Rausch. Dieses Gesicht habe ich schon einmal gesehen oder auch nicht. Allein das ist gleich, denn es ähnelt dem irgendeines Bekannten oder zuvor Gesehenen. Ich kann es auch verschiedensten Eindrücken zusammensetzen: Die Nase Maries, die Wangen meiner Cousine, usw.“ Darum fehlt es den Augen an Stimmbändern. Sie sind zum Schweigen verurteilt und zum Sehen gezwungen. Genötigt ihre Eindrücke erst durch ein minderwertiges Gehirn verarbeiten zu lassen und durch die Gefühle ihrer Besitzer zu etwas werden zu lassen, das man entweder mag oder nicht. Denn das Auge kennt es schon. Glücklicherweise fehlt es ihnen an Stimmbändern. Themen und Phrasen mithilfe welcher man sich kennen lernt, Sprüche, Höflichkeitsformen und eine bestimmte Sittlichkeit die sich an den Grad des vorangegangenen Alkoholkonsum an anzupassen hat. Dieser oder jener Blick ist nicht bewusst, jedoch unbewusst berechnend und suggestiv. Für den Außenstehenden ist Absicht und Erfolg ersichtlich. Ein verlegenes Lächeln während sich der Kopf ein wenig seitlich und vom Gesprächspartner weg bewegt, ein unverständnisvolles Zusammenziehen der Augenbrauen und Lippen die leicht gespitzt zu drohen scheinen, oder gleichmütig trunkene, gerötete Augen die besagen, einleitende und charmante Schmunzelsätze seien fehl am Platze und von hier an könne man direkter vorgehen. Abende und abendliche Erlebnisse die sich allabendlich wiederholen. Offene Geheimnisse von denen niemand öffentlich zu sprechen wagte, denn wer nimmt sich schon mutwillig Beschäftigung und bereitet sich vorsätzlich Langeweile und Leere? Glücklicherweise nur Wenige
Schließlich wurde es doch immer später und die Besucher der Bars und Kneipen offensichtlich immer berauschter. Es war wohl um die Zeit in der sich Gruppen von Bekannten, nachdem sie sich in ihren Wohnungen getroffen hatten, sich unterhalten, getrunken, gelogen, übertrieben und sich wohlmöglich sogar verliebt hatten, auf die Strassen begaben um etwas zu erleben, wobei dies meist mit Zeit-Totschlagen und dem Ausgehen von Gesprächsstoff gleichzusetzen war. Es war also um die Zeit zu der es all samstagabendlich notwendig wurde das fehlende Interesse an seinen Freunden und die Langeweile die diese offenbarten dadurch auszugleichen, bunte Lichter, laute Musik und durch betörende Flüssigkeiten gesprächig gewordene Fremde auf die Sinne loszulassen. Kurz, es wurde Hilfe von Außen benötigt. Was weder verwunderlich noch verurteilenswert war, da jeder Mensch nur eine begrenzte Anzahl von Erlebnissen, Ideen und Gelüsten ist die dem anderen nach gewisser Zeit bekannt sind, ihn langweilen und daher Gefahr bürgen aus Sympathie und Freundschaft Hass werden zu lassen. In diesem Zustand waren die beiden natürlich noch nicht, was sie verlegen machte. Das Gefühl sie seien ihrer Umwelt gegenüber rückständig entstand und sie müssten dringend aufholen. So fanden sie sich endlich in einem gut- aber nicht überfüllten Raum wieder, der zum einen nicht stickig oder drückend wirkte, zum anderen den Eindruck machte als seien die beiden nicht das einzige Pärchen das gerade erst im Begriff war sich kennen zu lernen. Solide Voraussetzungen. „Ist ganz gemütlich hier“, log sie. Ihr war während des Fußmarsches stetig kälter und ihr Verlangen nach einem seichten Rausch immer größer geworden. Doch als schrecklich befand sie ihren Standort ebenso wenig.

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Nikolai W. Gogol, Fred Ottow
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Ein Held unserer Zeit.



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Sterben

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