Montag, 30. Oktober 2006

Sie lag auf dem Bett

Sie lag auf dem Bett, auf der Seite. Da waren zu viele Kissen in ihrem Bett, doch sie waren während des Schlafes bereits an die Wand gerückt worden. An der Wand lag ich. Es war Morgen.

Sie hatte die ganz Nacht nicht geschlafen, was ich ihr sowohl ansah, als auch daraus schloss, dass wann immer ich in der Nacht aufgeschreckt war, sie wach neben mir lag.
Am Abend zuvor waren wir gemeinsam in ein winziges Studententheater namens "Theaterlabor" gegangen, um uns "Geschlossene Gesellschaft" von Jean Paul Sartre anzusehen. Wir waren um kurz nach Zehn wieder in ihrer Wohnung gewesen und ich öffnete eine Rotweinfalsche mit Schraubverschluss, die ich extra kaufte da ich wusste das sie keinen Korkenzieher in ihrer Wohnung haben wird. Wir tranken beide nur ein Glas: Ihr schmeckte der 1,79 Euro teure Wein nicht und ich wollte nicht den Eindruck machen, als sei ich ein Mensch der nur mithilfe von Alkohol reden, nicht schüchtern und charmant sein kann. Bereits jetzt lag sie im Bett, allerdings nur da ich die einzig andere Sitzgelegenheit in ihrem Zimmer – ein Schreibtischstuhl von Ikea - belegt hatte. Wir redeten über das Stück und ich erzählte ihr etwas über den Existenzialismus von Camus und Sartre. Wir hielten uns lange mit dem Satz "Die Hölle, das sind die anderen" auf. Wie dem auch sei, das Gespräch endete damit das sie sagte sie wache oft mitten in der Nacht auf und stellte fest das sie schreckliche Beklemmungen in ihrer Seele habe, ihr das Leben schrecklich schwer falle und sie das Verlangen hätte zu sterben. Sie werde niemals glücklich werden und auch ich könne sie nie wirklich erfüllen, oder heilen. Ablenkung - das sei alles was ich erreichen würde, was ich sein würde. Ich dachte: An der Stelle an der für die meisten Menschen das Glück steht, steht für sie die Ablenkung, und das Glück für nicht einen Menschen etwas anderes als Ablenkung ist. Der Unterschied bei ihr ist lediglich der Charakter des Bewussten. Sie weiß dass wenn sie nicht depressiv ist, sie lediglich von ihrer Krankheit abgelenkt ist, welche allerdings immer wieder, ihr Leben lang zurückkommen wird, sie wieder in Schatten sperren wird, dann oder wann. Ein Mensch der glücklich verliebt ist, ist auch nicht mehr als abgelenkt, nämlich durch Ausschüttungen seines Körpers, indirekt durch die Person die er liebt, oder meint zu lieben. Glück ist demnach immer Ablenkung, auf welche Art und Weise auch immer. Das sah sie ein und ich glaube der Umstand das ich mit der Tatsache das ich sie niemals wirklich glücklich machen werden kann so gut umgehen konnte – sie schien auch schon andere Erfahrungen gemacht zu haben -, gefiel ihr. Sie sah in mir Etwas, denn ihre Augen glänzten. Was in der Nacht geschah, war schön, nein, nicht wirklich schön, es war schöne Ablenkung für sie und was weiß ich für mich.

Jedenfalls kam der nächste Morgen und sie lag da, wie bereits beschrieben. Sie war bis zum Halse zugedeckt. Sie hatte die wirkliche Bettdecke erobert – was wohl nicht schwer war, da ich ja die meiste Zeit schlief und sie wach war, alles was sie tun musste war auf den richtigen Zeitpunkt warten – und ich war in die blau geblümte Tagesdecke gehüllt. Selbstverständlich ebenfalls Ikea. Als ich des Morgens wach wurde sah sie mich auf der Seite liegend an, mit ihren riesigen, noch geschminkten Tiefseeaugen. Es war währenddessen ein Kampf im Gange, zwischen mir und meinen nicht akkomodieren-wollenden Augen, und schon formten meine Lippen ein fragendes „Hmmm?“. Da ich keine Antwort erhielt wiederholte ich meine schon indirekt gestellte Frage, mit den Worten „Was ist los?“, beiläufig etwas direkter. „Nichts“, das war alles. Nichts? Es war offensichtlich dass sie irgendein Gedanke quälte. So etwas kann man an dem Verhältnis des Grads der Nicht-Verschwommenheit der Augen und der Haltung des Mundes ablesen, man muss es nur wissen. Und in diesem Moment konnte ich zwar die Bäume die vor dem Fenster im Winde wehten nicht wirklich durchgängig fokussieren, doch ich wusste das sie verzweifelt über etwas nachsann. Schließlich lag Sie neben mir, in demselben Zimmer, ganz im Gegensatz zu den Bäumen. Nichts? Sie wollte es mir nicht sagen und ich dachte es läge vielleicht daran das sie denken würde ich verstände sie so oder so nicht, da ich nicht an ihrer Krankheit leide und bis zu einem gewissen Grad hatte sie sogar Recht. Und verdammt noch mal wir schwiegen uns geschlagene 90 Minuten lang an. Anfangs schaute ich abwechselnd zu ihr und aus dem Fenster und konzentrierte mich auf den Kampf mit meinen Augen. Ich hatte irgendwann – wie vorauszusehen war – gewonnen. Also schaute ich abwechselnd zu ihr und durch ihr Zimmer, das im Übrigen dunkelrot gestrichen war. Als nächstes drehte ich mich zur Wand, da meine Augen zwischenzeitlich immer noch verschwommen zu sehen pflegten. Da niemand jemals wissen wird wie sein eigener Blick aussieht wenn er verschwommen sieht, da man zu diesen Zeitpunkten ja eben verschwommen sieht, empfand ich es als angenehmer die Wand anzustarren, um zu verhindern, dass sie erkennt, dass ich noch nicht vollkommen wach war. Nach einiger Zeit drehte ich mich wieder zu ihr – der Kampf war, das war nun sicher, endgültig beendet – und sah, dass ihre Augen wieder glänzten. Vielleicht gefiel ihr ja mein lakonisches Verhalten, mein Schweigen, mein Nicht-Weiter-Nachfragen. Mich hingegen begeisterte das sie mich in keinem Moment anzuschauen aufgehört hatte. Hartnäckig war sie und ausdauernd. Ich hatte bereits die Wand, den Rest des Zimmers, den Ausblick des Fensters und Sie beobachtet, also blieb mir nur noch die Decke über den Kopf zu ziehen. Damit hielt ich mich wiederum einige Minuten auf und als ich wieder auftauchte, sah ich das der zuvor bereits bemerkte Glanz ihrer Augen keine Bewunderung meiner Person war – wie konnte ich nur? – sondern das erste Anzeichen langsam hervortretender Tränen.

Der neue Abschnitt ist an dieser Stelle, da ich selten etwas so ehrliches gesehen habe, vielleicht sogar noch nie. Demnach nicht mehr als Betonung, oder sonst was: Da sie auf der Seite lag, fielen ihre Tränen nicht wie üblich über die Wangen hinunter zur Ecke des Kieferknochens von wo aus sie meist auf den Boden hinuntertropfen. Die erste Träne bahnte sich ihren Weg über die Nase, die eine Rampe zu bilden schien, und machte an der äußersten Spitze der Nase halt. Dort schien sie beinahe verendet, doch weinte die Dame natürlich nicht nur eine Träne, sondern, so empfand ich es, das gesamte Glas Rotwein des vorherigen Abends. Also nahm die nächste Träne denselben Weg, da dieser ja einem Trampelpfad ähnelnd bereits vorbereitet war, ja sozusagen eine Autobahn für Tränen darstellte. Mehr und mehr Flüssigkeit sammelte sich an der Nasenspitze, bis sich wiederum ein Tropfen entwickelte, welcher vom Sammelpunkt aus auf die Wange tropfte, von wo aus er, die Fallgeschwindigkeit geschickt nutzend, auf das Kissen hinunterraste. Dieser gesamte Vorgang wiederholte sich dutzende Male, und das mit einer leicht angeschwärzten Tränenflüssigkeit. Ich müsste vielleicht noch hinzufügen das sich dieses Schauspiel nur an einem Auge vollzog, da das andere ja aufgrund der seitlichen Lage schon beinahe das Kissen berührte, die Tränen also nur noch ein winziges Stückchen zurückzulegen hatten. Innerhalb der ersten Sekunden, also in der Zeit in der ich feststellte das sie weinte, fragte ich mich ob ich noch einmal fragen sollte was denn los sei, sie einfach in den Arm hätte nehmen sollen, ihr die Tränen von der Wange hätte küssen müssen, sie am Abschusspunkt der Tränenballiste hätte aufschlürfen sollen. Doch ich entschied mich zu schweigen, sie starr anzusehen und zu warten. Ich wollte diesen Kampf nicht verlieren, wollte ihr zeigen dass ihre Tränen nichts Besonderes und erst recht kein Druckmittel sind. Nach wie gesagt 90 Minuten brach sie das, ein gefühltes Leben lang hatte andauernde, Schweigen.

Es täte ihr leid, aber was denn, das sie nicht mit mir reden könne und ich verstünde doch so oder so nicht, ich müsse doch aber auch nicht alles verstehen und sie verstehe mich doch ebenso wenig, niemand verstünde den anderen jemals wirklich, das sei etwas anderes, nein, das sei es nicht, doch; nein, es sei ihr nur im Gegensatz zu den Anderen bewusst, genau wie ihr die Nichtigkeit des Glückes bewusst sei, mehr nicht, nichts anderes sei es. Und sie weinte weiter.

Irgendwann einmal kannte ich einen Menschen der mir enorm wichtig war, mir die reinste aller Ablenkungen war, mich sogar davon ablenkte mich davon ablenken zu müssen zu vergessen das jedes Wohlfühlen nur Ablenkung ist. Somit wirklich Ablenkung in Reinform, ein Heiligtum. Irgendwann einmal hörte ich den Satz: „Manchmal denke ich, ich müsste einen Menschen für dich suchen den du genauso lieb haben kannst wie mich, damit ich endlich gehen kann.“ Irgendwann einmal sagte ich einem herrlichen Menschen es würde zwischen uns keinen Sinn mehr machen, nur um als Antwort „ich will nicht mehr“ zu hören und zu sehen wie ein Mensch dem Wunsch sich aus dem Fenster zu stürzen nachzugehen versucht. Versucht. Irgendwann einmal hatte ich bei einem damalig guten Freund übernachtet, kam nach Hause und fand eine beinahe leere Packung Schlaftabletten im Bad, nur um einige Stunden später zu erfahren, eine existenzielle Person läge im Krankenhaus. Versucht. Irgendwann einmal versank ich förmlich in Sehnsucht und Unzufriedenheit, badete in Melancholie und Kerzenschein, machte mir bewusst was passieren kann und wird, sah Notwendiges ein. Was in Gottes Namen war die beste Zeit meines Lebens? Für mich eindeutig letzteres.

Es bleibt dabei: Glück ist so irrsinnig nichtig


Nachtrag: Es schwirrte während des Schreibens ununterbrochen in mir herum, aber ich wusste und weiß nicht wohin damit. Daher einfach mithilfe eines Nachtrages. Also: „Depression – die Krankheit eines allzu bewussten Lebens“

Mittwoch, 25. Oktober 2006

...

Passend zum gestrigen Tag einen wundervollen Text gefunden, der auf eine gewisse Art und Weise Mut macht, zumindest mir... Man kann also doch Mensch bleiben, nicht langzeitig erfolgreich, aber zeitweise.

Dienstag, 24. Oktober 2006

Ein müder Tag

Ich glaube nicht das es der Welt an Glückspotential fehlt, aber doch der gottverdammten Gesellschaft in der wohl alle die diesen Blog eventuell lesen könnten aufwachsen.

So gerne ich mir auch eine gewisse Utopie meiner Selbst hineinzimmere, muss ich doch gestehen, ganz realistisch, das es verdammt schwer ist nicht irgendwann in einem stickigen, einem Boxring ähnelnden Büro zu enden. Zu verenden. Nicht irgendwann eine Arbeit zu tun, und das jeden Tag, die mir nicht zusagen wird. Ganz einfach aus dem Grunde, da ich mir nicht einen Beruf vorstellen könnte – besser gesagt: Ich könnte mir schon welche vorstellen, nur sind diese Vorstellungen, liegt wohl in der Natur der Sache an sich, zu aus der Luft gegriffen und zu realitätsfremd – der mir gefallen würde. Woraus logischerweise folgt das ich irgendwann „etwas arbeiten werde“ das mir nicht gefällt. So, und an diesem noch relativ realitätsnahen Punkt, beginnt meine Utopie ja erst richtig:

Warum verdammt noch mal macht der Mensch aus seinem Leben so ein Drecksloch? Man denkt ja nicht einmal mehr daran aus diesem bürgerlichen Mist auszubrechen. Lieber verendet man in einem im Winter schlecht beleuchteten, und im Sommer schlecht belüfteten Büro, als einzusehen das alle Menschen die man kennt entweder unglücklich oder dumm sind. Und das Glückspotential das ein Büro, eine Werkstatt, irgendein Einzelhandelssonstwasgeschäft, oder etwaige andere, monotone Höllen zu bieten haben, ist mit der Größe eines Glückskekses vergleichbar, in dessen Mitte man einen Zettel mit der Aufschrift: „Folge unbeirrt deinem Weg - steil bergauf!“ findet. Demnach ziemlich groß.

Ja, ja, das ist alles schrecklich Befindlichkeitsfixiert und meinetwegen auch pubertär, aber ich sprach ja auch von Anfang an von ‚Utopie’. Doch das ist gar nicht das Problem. Ich weiß dass jeder diesen, oder ähnlichen Mist schon mal gehört hat, jeder, jeder, jeder, vielleicht auch nur fast jeder. Das Problem ist: Ich sehe keine Lösung. Außer Ideale zu verlieren und seine Ansprüche herunterzuschrauben.
Doch wofür seine Erwartungen herunterschrauben, wenn – wie bereits gesagt – alle Menschen die ich kenne entweder unglücklich oder dumm sind? Wo ist der Nutzen? Wahrscheinlich gibt es keinen Nutzen ohne Potential.

Also muss entweder ich oder irgendwer mir Antworten geben. "Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt, auf die Grundfrage der Philosophie antworten. Alles andere – ob die Welt drei Dimensionen und der Geist neun oder zwölf Kategorien hat – kommt später. Das sind Spielereien; erst muss man antworten. "

Vielleicht genügte es ja irgendwelche Werte zu haben.

Sonntag, 22. Oktober 2006

Warum auch immer?

What European City Do You Belong In...

You Belong in Amsterdam

A little old fashioned, a little modern - you're the best of both worlds. And so is Amsterdam.
Whether you want to be a squatter graffiti artist or a great novelist, Amsterdam has all that you want in Europe (in one small city).

Donnerstag, 19. Oktober 2006

Heimreise: Münster - Sassenberg

Ich möchte von meiner Rückreise von Münster nach Sassenberg berichten:

12:39 Uhr:
Mein Bus Vom Grünen Grund Richtung Hauptbahnhof fährt ab.
12:54 Uhr:
Mein Bus – die Linie 2 – erreicht den Hauptbahnhof. Wie bei jeder Ankunft an den Münsteraner Hauptbahnhof denke ich beim Anblick der Fratzen, die einem jeder Großstadt-Bahnhof anbietet, an die Worte des Musikers Stoppok: „Viel zu schön hier auf der Erde, viel zu schön für ein Leben in ´ner Hammelherde […] Es ist nicht deine Herde“
12:34 Uhr:
Wider Erwarten fährt „Der Warendorfer“ erst jetzt von seinem Lieblingsgleis, dem Siebzehnten, ab. In der verstrichenen Zeit besuchte ich die etwas zu kleine Toilette des Schnellimbissrestaurants „MacDöner“. Der irisch klingende Name machte auf mich einen einladenden Eindruck. Die letzten 15 Minuten vor Abfahren des Zuges verbrachte ich bereits im, noch stehenden, Zug.
14:02 Uhr:
Erst jetzt wird mir die Tragweite der Tatsache bewusst, dass der Zug heute nicht wie gewohnt um „Viertel-Nach“ sondern erst um „Halb“ losfuhr. Beim Betrachten des Busfahrplanes bemerke ich, dass mein mich nach Hause tragender Bus vor zwei Minuten seinen Heimathof verließ. Ich muss eine Stunde warten. Nach kurzer Überlegung beschließe ich den Fettmarkt zu besuchen. Also flanierte ich die Warendorfer Altstadt entlang die, auf ca. jedem Zentimeter von irgendwelchen mehr oder weniger starken Beinen getreten werdend , erbärmlich nach „regionalem Zusammenkommen des gesamten Kreises Warendorf, aufgrund eines Flohmarktes auf welchem gewisse Einwohner der Kreisstadt ihr Gerümpel verkaufen, und einer Provinzkirmes auf der man sich als Jugendlicher ‚nun mal zeigt’ und als berufstätiger Erwachsener seine Kinder ‚doch einmal auf den süßen Ponys’ reiten lassen muss (Die zum einen stinken und mir zum anderen Leid tun), riecht. Wer in dieser Situation mehr Charakter besitzt, wer mehr „Individuum“ ist, die Ponykacke oder die Besucher der Kirmes, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls kaufte ich für insgesamt drei Euro fünf Bücher. Einen kleinen Anteil schönen Gerümpels findet man in der großen Menge scheiß Gerümpels doch. Und genau dafür – besser wäre dafür – liebe ich diese Stadt…
15:00 Uhr:
Der nächste Bus Richtung Sassenberg fährt ab und ich steige ein. Der Busfahrer regt sich über die Straßensperrungen auf, die natürlich wegen des Fettmarktes aufgestellt worden sind, alte Menschen sind kurz vor dem stürzen da der Bus zu rasant anfährt, Müttern wird geholfen ihren Kinderwagen in des Bus zu hieven und Jugendliche sitzen unkommunikativ Musik hörend, vielleicht das offensichtlichste Merkmal modernen Rebellentums unserer Generation, auf ihren Sitzen. Jede Busfahrt symbolisiert exakt das Drehbuch des Lebens nach dem wir alle spielen werden.
15:14 Uhr:
Ankunft: Sassenberg, Rathaus. Mit mir steigen genau vier andere Personen aus, ihre Gesichter kenne ich, die Namen nicht.
15:28 Uhr:
Ich stecke meinen Schlüssel in die Haustür, öffne, trete in die Küche und bereite ein Kanne Kaffee zu. In zwei Minuten erwarte ich meine Bandkollegen.

Dienstag, 17. Oktober 2006

(Kein Titel)

Arroganz ist eine Eigenschaft die man, wie viele andere, zu schnell als negativ abstempelt. Zumindest existiert eine durchaus positive Arroganz. Von seinen eigenen Leistungen und Gedanken solange überzeugt zu sein, wie sie niemand erfolgreich in Frage stellt, sie niemand argumentativ zu Grunde richtet. Vielleicht ist ein gewisser Hochmut in vielen Dingen sogar hilfreich und lässt einen eine bereits gefasste Überzeugung weiter ausführen.
Arroganz wir eingeteilt in zwei Bereiche: Erstens, die Charaktereigenschaft seine eigene Person als zu hoch einzuschätzen und zweitens, die Tatsache über andere negativ zu reden. Solange man also die Ansichten einer Person X argumentativ nicht widerlegen kann, darf sie meiner Meinung nach von sich selbst überzeugt sein und durchaus Stolz empfinden. Redet Person X über eine Person Y abfällig darf sie dies ebenfalls, solange Person Y Gründe dazu gibt. Es ist einem Menschen doch durchaus gestattet über einen anderen zu lästern, solange das "Opfer" dazu Gründe liefert, wie oberflächlich diese auch seien. Gründe sind nunmal Gründe. Und begründet Urteilen darf jeder.
Selbst Georg Büchner redet in "Leonce und Lena" von einer "lieben Arroganz". Ich würde mich persönlich als arrogant bezeichnen, gleichzeitig jedoch als einsichtig. Zumindest hoffe ich das, stark.

Freitag, 13. Oktober 2006

Müsli-Mensch Kreislauf

Ich stehe um acht Uhr dreißig auf. Ich schlafe über einem Dachfenster, welches ich Nachts ein wenig offenstehen lasse, um einem Windzug Einzug in mein Zimmer zu verschaffen. Der Wecker klingelt, ich schalte ihn aus und bemerke ein paar sanfte Regentropfen mein Gesicht berühren. So bleibe ich wenige Minuten liegen. Ich schliesse das Fenster, da ich zuvor beschloss ein wenig in dem zu meiner rechten, auf einer Audiobox liegenden Buch weiterzulesen. Ich lese in 35 Minuten ein Kapitel und ziehe mich hiernach an. ich gehe ins Bad, uriniere, wasche Gesicht und Hände. Keine Rasur, keine Dusche - ja, ich halte das für erwähnenswert. Meine Reise verschlägt mich weiter in die Küche, in der ich allmorgendlich zuerst zwei bis dreimal umherlaufe bevor ich auch nur einen kleinen, klaren Gedanken fassen kann. Wohl eher Gewohnheit als wirkliches Unvermögen. ich wasche einen Apfel, schneide ihn in Würfel, nehme eine Banane, schneide sie so gut es mir gelingt in Würfel, nehme etwas Naturjoghurt aus dem Kühlschrank und Haferflocken aus einem Regal. Das alles vermenge ich in einer Ikeaschüssel miteinander, zuckere es und esse. Dazu Kaffee.

Ich fühle mich heute nicht als Individuum, sondern mehr wie ein Löffel meines Frühstücks. Ich fühle mich nicht einmal als spezifischer Apfel- oder Bananenwürfel, auch nicht als Zuckerkristall, nein, einfach als ein klebrig weißes Gemisch aus beliebig ausgewählten Zutaten. Ich bin ein halber Mund voll Müsli, der nicht einmal besonders schmeckt. Ich komme aus einer Ikeaschüssel, verliebe mich in einen Mund und ein zartes Lippenpaar, halte mich in ihm auf, werde gefressen und lande im kalten Wasser, irgendwann. Wer kennt das nicht?

Das ist nicht im Entferntesten individuell. Es ist 11:00 Uhr.

Donnerstag, 12. Oktober 2006

Elliott Smith

In den letzten Tagen habe ich wieder angefangen Elliott Smith zu hören. Viel. Er ist zweifellos ein wahrhaft großes Genie gewesen und seine Stimme, seine Worte und seine - stets von ihm selbst eingespielte - Instrumentierung bewegen mich sehr. Hört man ihn "everything means nothing to me" singen, nur als Beispiel, ist die Verbindung zwischen Text und Wirklichkeit so glaubwürdig wie nur bei enorm wenig Musikern.

Vor knapp achtzehn Monaten schickte mir die gute Streff einen Text, geschrieben von Thees Uhlmann, den ich an dieser Stelle einfügen möchte. Zusammen mit dem Link eines 50-minütigen Live-Videos.

"Der Schmerz der Lebens

Vor einem Jahr starb der Songwriter Elliott Smith. Eine Würdigung von Thees Uhlmann.

Es wird kolportiert, dass die erste öffentliche Reaktion der Mutter von Kurt Cobain auf seinen Suizid folgende war: „Jetzt ist er auch Mitglied in diesem dummen, dummen Club!“ Elliott Smith ist seit einem Jahr auch Mitglied in diesem Club. Ein Suizid lässt die Menschen, natürlich vor allem die Nahestehenden, mir vielen Fragen zurück. Es bleibt ein „Was hätte man tun können?“ für den Rest des Lebens. Genau diese furchtbare Wirkung auf das Leben anderes lässt Suizid in einem so egoistischen Licht erscheinen.
FROM A BASEMENT ON THE HILL wird das Letzte sein, was wir von Elliott Smith hören werden. Oh Elliott, oh Elliott, könntest du nur weiter für uns singen! Wir sollten einen Club gründen. Einen Club, der sich offiziell darum kümmert, das Jahr 2003 zu verfluchen. Satzungspunkt eins wäre: „Du sollst das Wesen und Sein des Hundes ehren, denn es ist ein edles, gutes und humorvolles.“ Punkt zwei: „Wir verpflichten uns der Anerkennung und Preisung des künstlerischen Werks von Elliott Smith.“ Punkt drei: „2003 war eines der schlechtesten Jahre seit 1974!“ Einmal in meinem Leben bewies ich seherische Fähigkeiten. Als ich im Oktober 2003 die Möglichkeit bekam, den ME-Fragebogen auszufüllen, beantwortete ich die Fragen „Welches Tier möchtest du gerne sein?“ mit „mein Hund“ und „Wen würdest du gerne kennen?“ mit „Elliott Smith“. Beide starben innerhalb von wenigen Tagen.

Das Große an Elliott Smith war, dass er es schaffte, Worte mehr als Worte sein zu lassen. Wenn er singt wie auf dem ersten Stück auf seiner neuen Platte, „Coast To Coast“, sind das mehr als diese Worte. Man spürt die USA. Das Leben dort, die Hybridität der USA! Was Smiths Werk zu einem Vermächtnis werden lässt, ist, wie sich der Multiinstrumentalist immer weiter traute, seiner Musik ein orchestrales Äußeres zu geben. Waren seine Songs anfangs noch Dialoge zwischen ihm und seiner Gitarre, sind seine letzten Platten FIGURE 8 und FROM A BASEMENT ON THE HILL Meisterwerke, auf der jedes Instrument den für ihn vorgesehenen Ton findet.
Es gibt im Internet unter [Anm.d.Bloggers: Es gab unter dieser Adresse einst...] http://play.rnb.com/?livecon/kcrwcp/demand/mb/mb970506Elliott_Smith.ra ein so unglaublich trauriges, ehrliches, nacktes Interview mit ihm aus seinen frühen Tagen. Smith war kaum imstande, die Fragen des Interviewers nach seiner Herkunft und seinem befinden zu beantworten. Er bricht seine Antworten immer wieder ab und bittest den ungewöhnlich sensiblen Interviewer mehrmals, das Thema zu wechseln. Man kann Smiths Schmerz, seine Unfähigkeit das Leben zu meistern, erahnen. Seine Bestimmung war es, all den Schmerz seiner Genese, die ihn zu einem der besten, talentiertesten Songwriter seiner Genration machte, in seine Songs zu legen. Es ist geradezu zynisch, die Musik von Elliott Smith zu hören und nicht „gottverdammte Drogen“ zu denken, Wie ein roter Faden zieht sich das Leben mit und gegen die Droge durch seine Lieder. Sei es Alkohol oder irgendein anderer Dreck, der wohl gegen Ende seines Lebens immer bestimmender wurde. Manchmal scheint das Leben kaum anders zu ertragen sein.
Eine seltsame Geschichte rankt sich um den Tag, an dem Smith seinem Leben einEnde setzte. Weakerthans-Schalgzeuger Jason Tait ließ sich an diesem Abend tätowieren - ein Herz, das von einem Dolch durchstoßen wird, als Elliott Smith eben jenes tat. Viele Menschen kennen solche Geschichten. Und wir wissen, John K. Samson, der Sänger der Weakerthans, wird sich nicht umbringen. Wir brauchen diese Leute, die sich trauen, zu bleiben. Die von Leiden und Heilung singen. Von Menschen, die es schaffen. So gerne hätte ich gesehen, wie Smith an einem Piano die Akkorde von „King’s Crossing“ in die Tasten fließe lässt. Und singt: „Give me one good reason not to do it.“ Es bricht einem das Herz. Elliott Smith ist tot, und es gibt nichts, was das ändern könnte. Ich schrieb schon einmal und ich schreibe es wieder: „Let the toast to absent members push through the ceiling before we say goodnight!“ Elliott Smith starb am 21. Oktober 2003. Er wurde 34 jahre alt. Mach’s gut, Freund! Das hat Rocco Clein auch immer geschrieben.


Verzweifelte Offenheit

Elliot Smith
From A Basement On The Hill
(Donino/Rough Trade)
Gone but not forgotten: das musikalische Vermächtnis eines der größten Singer/Songwriter seiner Generation.

Eine der wirklich guten Sachen an der Arbeit des Musikjournalisten ist es, Tonträger zu bekommen, bevor sie ihren Weg zum Endverbraucher finden. So ging ich bereits Anfang September durch eine Berliner Altbauwohnung mit einer der wohl 20 besten Erfindungen der Neuzeit: dem Funkkopfhörer. Ich hörte FROM A BASEMENT ON THE HILL und schaute auf den Fernseher. Das letzte Album von Elliott Smith im Kopfhörer und Privatfernsehen auf den Augen. Weiter voneinander entfernt kann westliche Kultur kaum sein.
Man möchte nichts mehr lesen über die Tragik des viel zu frühen Ablebens von Elliott Smith. Seine Musik und seine Texte erzählen genug vom Leben und Leiden des Mannes, der mit der Oscar-Nominierung für die Musik zu „Good Will Hunting“ plötzlich zu Weltruhm kam. Während diese Zeilen geschrieben werden, läuft im Hintergrund „Miss Undercover“ mit Sandra Bullock im Fernsehen. In der letzten Szene vor dem Showdown werden die fünf Aspirantinnen auf den Titel „Miss America“ vorgestellt. Miss California sagt, sie glaube „an die heilende Kraft der Musik.“ Das mag richtig sein, aber gilt das auch für den, der die Musik schreibt, komponiert und erlebt? Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: John K. Samson fasst jenen Phänomen auf dem letzten Album der Weakerthans folgendermaßen zusammen: „And listen, about those bitter songs you sing; they’re not helping anything, they won’t make you strong.“ Wenn diese Worte nicht für Elliott Smith gelten, für wen dann?
Es scheint fast so, als hätte Elliott Smith FROM A BASEMENT ON THE HILL ganz bewusst als letztes Kapitel seines Lebens angelegt. Durch alle Lieder seines letzten Album zieht sich sein Schmerz, seine Sucht, sein Zynismus ob der eigenen Lage und seine (unerfüllbare) Liebe. Und das in einer verzweifelt exhibitionistischen Offenheit. Die Texte schreien nach einer allumfassenden Ruhe. “Veins full of disappearing ink. Vomitting in the kitchen sink. Disconnecting fromthe missing link. This is not my life. It’s just a fonf farewell to a friend”, singt Smith in “A Fond Farewell”. Und im zentralen Stück “King’s Crossing”, das wirklich nur, nur, nur von Heroin handelt, heißt es: „I can’t prepare for death any more than I already have.“ Man hasst es zu lesen, wie sich hier Text und Realität die Hand reichen. Was sich auf dem Vorgängeralbum FIGURE 8 musikalisch bereits angedeutet hat, wird in FROM A BASEMENT ON THE HILL fortgeführt. Ein Künstler erobert sich die ganz großen Studio-Produktionsbedingungen. Ausufernde, opulente Instrumentierung, die sich wahlweise nach den siebziger Jahren oder zeitlos anhört. Vielleicht hatte Elliott Smith wirklich keine Lust mehr zu leben. Das Traurige daran ist, dass in jedem Song zu hören ist, dass er musikalisch ganz und gar nicht am Ende war. Elliott Smith hat mit FROM A BASEMENT ON THE HILL sein Schaffen noch weiter geöffnet. Er hätte sich nach diesem Album alles erlauben können - gerade auch, weil er sich von seinem frühen Werk, das wir alle so lieben, nicht verabschiedet hat. Man hört in „Memory Lane“ in lieb gewonnener Art und Weise seine Fingernägel an den Gitarrensaiten kratzen und beim Eröffnungsstück „Coast to Coast“ geschätzte 17 Instrumente. FROM A BASEMENT ON THE HILL ist ein Klassiker, ein Klassiker von einem Menschen, der nicht mehr lebt.
Vor ein paar Jahren, als das Geschäft mit dem Internet noch boomte und ich bei einer schwedischen Providerfirma für viel Geld wenig arbeitete, schrieb ich meine allererste Plattenkritik - über Elliott Smiths FIGURE 8. und jetzt schreibe ich meine letzte Kritik über FROM A BASEMENT ON THE HILL. Warum soll man auch noch weiter über Musik schreiben, wenn Elliott Smith tot ist?
*****THEES UHLMANN"

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"Wie gut die Zeit mit dir verrinnt... die uns bleibt... bis wir gehen... lass mich vor dir sterben..."

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Emily Bronte
Sturmhöhe.


Nikolai W. Gogol, Fred Ottow
Die toten Seelen.



Judith Hermann
Nichts als Gespenster.


Michail J. Lermontow, Günther Stein
Ein Held unserer Zeit.



Franz Kafka
Das Schloß



Arthur Schnitzler
Sterben

.

"Ich habe meine eigenen Ideen über die Kunst und zwar bestehen sie aus Folgendem: Was die meisten Menschen als fantastisch betrachten, halte ich für das innerste Wesen der Wahrheit. Trockene Beobachtungen alltäglicher Banalitäten betrachte ich schon lange nicht mehr als Realismus - es ist genau das Gegenteil. Ich bin Realist im höheren Sinne es Wortes." - Fjodor M. Dostojewski

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