Samstag, 2. Dezember 2006

Vielleicht aufziehen

Ein winzig schmaler Weg der von einer Wohnsiedlung zu einer anderen führte. Eine fünfzehn Meter lange Verbindung zwischen zwei Strassen, machte aus Richard Wagner, Theodor Fontane oder umgekehrt, was im Übrigen völlig gleich ist.
Eine Lederleine samt angehängtem Hund fest in den Händen haltend, bewegte ich mich in Richtung Wagner, rechts von mir eine Holzscheune die eher eine Holzgarage ist, links von mir der Garten eines Hauses, welcher durch hohe, grüne Sträucher und noch höhere, dafür nicht ganz so grüne Tannen verdeckt wird. Beinahe völlig sichtgeschützt fiel er mir erstrecht ins Auge. Die Nacht war verhältnismäßig hell. Der Vollmond schien zu schreien, so breit beleuchtete er offene Wege, Bäume und Teer. Doch seine Schreie drangen nicht durch das schirmende Dickicht der linksseitigen Holzgarage und die rechtsseitigen Tannen, wodurch dieser Pfad, so konnte man einige Augenblick lang denken, der einzig nicht Erleuchtete zu sein schien. Anstelle von klaren Konturen und einzelnen Tannennadeln, waren nur vage Silhouetten zu erkennen, Umrisse die eben so deutlich, bzw. undeutlich zu erschließen waren, das man zwar auf eine Tanne, oder einen Strauch schließen konnte, nicht aber irgendwelche Aussagen zu Dichte oder Größe der Blätter hätte machen können.
Allein eine Lücke besaß dieser Sichtschutz dieses dunklen Gartens. Der Strauch, der zuvor keine Sicht in das innere des Gartens ermöglichte, war an dieser Stelle beschnitten und barg dadurch eine gewisse Gefahr, die Ungestörtheit der Hausbesitzer betreffend. Wie ein Biertrunkener Insasse einer Kneipe, der einem Wildfremden nüchternen Idioten Details und Geheimnisse seines Lebens erzählt, wozu er im Normalzustand niemals in der Lage gewesen wäre, sei es aus Feigheit, sei es aus Vernunft, so lag nun ein offenes Stück Rasen und eine Terrasse mitsamt großen, verglasten Hausfensterscheiben vor mir. Mich interessierte nun mehr weniger das Aussehen des Gartens, als der Einblick in das häusliche Leben eines sich in vermeintlicher Sicherheit wiegenden Hauses. Keine Rollläden vor den zwei riesigen Fenstern, sah ich in ein Wohnzimmer in dem ein Fernseher lief und ein alter Mann auf einem Sofa saß. Der Raum war hell erleuchtet und ich spionierte in hütender Dunkelheit und genügendem Abstand. Ganz so wie ein Film, jedoch lebendig.
Der einsame Protagonist dieser Szene schaute Fern, ohne jegliche Emotion auf dem Gesicht zu zeigen. Vielleicht stand ich nur zu weit entfernt um Genaueres zu erkennen, vielleicht konnte ich kein Gefühl in seiner Miene erfassen, da ich keines erfassen wollte, oder vielleicht begriff ich die gesamte Situation völlig korrekt und zweifele nun zu Unrecht, doch sei es drum, denn das Bild im Kopf bleibt: - Seine Gestalt ließ mich unweigerlich an einen verwitweten Rentner denken, der Tag ein, Tag aus auf seinem Sofa sein Leben fristet, die Tagesthemen sieht, danach einen Krimi, während welchem er langsam seine Müdigkeit zu spüren beginnt und gegen Ende, gerade wenn der Fall aufgelöst daliegt und der Mörder kurz vor der Überführung steht, einzunicken beginnt. Es mag sein das er in einen relativ wachen Schlaf verfällt und anfängt von seiner verstorbenen Frau zu träumen, als ein Schuss fällt und er aus seinen Erinnerungen gerissen wird. Gleichgültig betrachtet er sein Aufwachen und das Verschwimmen der gesehenen Bilder seiner Frau, da er diesen Ablauf schon kennt und gewissermaßen sogar erwartete.-
Meine Einbildungen fanden ein jähes Ende, in dem Moment in dem eine alte Frau das Wohnzimmer betrat. Offensichtlich seine recht lebendige Frau. Sie bewegte sich langsam aber zielstrebig, stierte wortlos auf den Boden vor sich und würdigte ihren Mann keines Blickes. Sie nahm auf einem Sessel neben dem Gatten Platz und eine Zeitschrift zur Hand. Nun stierte sie nicht mehr auf den Boden vor sich, sondern auf die Zeitschrift vor ihren Augen. Möglicherweise war ihr Gatte schwerhörig, jedenfalls schien er das Eintreten seiner Gattin nicht bemerkt zu haben. Möglicherweise war ihm gleich, das sie eintrat.
Zwei Menschen denen die Kraft fehlte einander zu bemerken, geschweige denn zu mögen. Die Ohren zu schlecht um das Ticken der großen Wanduhr hinter Sofa und Sessel, gegenüber des Fernsehers zu hören. Vielleicht ist sie stehen geblieben. Schon seit fünf, zehn oder zwanzig Jahren.
Der Hund hatte aufgehört an den Zaun und den Strauch des Gartens zu urinieren und wollte, dies machte er mir durch Jaulen und Ziehen bemerkbar, weiter in Richtung Zuhause, sich seinem Zwinger und dem Abendessen nähern. Das konnte ich hören.

Montag, 27. November 2006

Von Wartezimmern und allgemeinen Symptomen

"Was kann ich für sie tun?", fragte die junge auszubildende Arzthelferin und ich fühlte wie mich bereits etwas Ärger ergriff, denn ich hasste diese Frage schon immer. Früher wusste ich nie was ich auf diese Frage antworten sollte, war mir nicht sicher ob die Arzthelferin bereits erste Beschwerden erfahren wollte oder ob sie wirklich nur eine Büroangestellte war. Heute ist mir bewusst das das Erwähnen von Symptomen und Krankheitsbild unnötig ist, doch der Hass auf diese Frage ist geblieben.
"Ich wollte zu irgendeinem Arzt", bekam sie als Antwort, was mir im Nachhinein zu schroff erscheint. Sie nahm die Versichertenkarte, zog sie durch ein Lesegerät und untersuchte meinen Praxisgebührennachweis auf Aktualität.
"Vor Ihnen sind noch drei Patienten."
"Okay."
Ich begab mich in das Wartezimmer und war froh dass sie sich wenigstens das obligatorische "Sie können so lange noch im Wartezimmer Platz nehmen" gespart hatte. Als sei dies irgendein privilegiertes Vorrecht oder sonst etwas.

Im Wartezimmer warteten vier Menschen darauf dass eben erwähnte Angestellte ihren Namen aufrufen würde. Zum einen wusste ich dass es allgemein üblich war die Insassen des Wartezimmers zu begrüßen, zum anderen erlag ich dem Gedanken, diese Menschen seien Fremde und ich würde ihnen im besten Falle nie wieder begegnen. Ich begrüßte demnach nicht. Uns alle verband dasselbe Schicksal, also nahm ich, nachdem ich meine Jacke an die Garderobe für Kleinkinder gehängt hatte, mir erschien das Benutzen von Kleiderbügeln seit jeher unendlich kompliziert und im Falle des Vorhandenseins einer Kleinkindergarderobe unendlich unnütz, Platz. Mir gegenüber saß eine Mutter samt Kind, deren Blick bedeutete, sie sei genervt von der Krankheit ihres Kindes, es Leid ihm die triefende Nase wieder und wieder zu putzen und eigentlich zu geschäftig um in diesem Raum auf irgendwelche sich unterhaltenden Ärzte zu warten. Ihr Kind hatte seinen Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt, aus dem es wohl vor ca. drei Jahren gekrochen war, und ihm war die Krankheit ins Gesicht und insbesondere auf die wunde und rote, vom Naseputzen angegriffenen Nasenflügel geschrieben. Im Laufe unserer gemeinsamen Wartezeit putzte Frau Mutter ihrem Kind zweimal mit demselben Taschentuch die Nase. Dem feuchten Fetzen Papier war anzusehen, das dies nicht die ersten beiden Male waren. "Vielleicht nicht unbedingt angenehm", dachte ich.
Rechts von mir saßen ein 60-jähriger Mann und eine ebenso alt ausschauende Dame. Der Mann las eine "Auto, Motor, Sport" und ich schenkte ihm keine weitere Beachtung. Er fesselte ganz einfach meine Aufmerksamkeit nicht, was einen simplen Grund hatte. Die leicht übergewichtige und, um es nett auszudrücken, nicht besonders attraktive, zwei Stuhllängen von ihm entfernt sitzende Frau, gefiel mir sehr. Sie trug schwarze, einen billigen Eindruck machende Lackschuhe, eine schwarze Strumpfhose und einen schwarzen Rock, der ungefähr zwanzig Zentimeter über ihren Rock ragte. Damit nicht der Eindruck entsteht ihr Kostüm sei aufeinander abgestimmt gewesen, sei noch erwähnt, das innerhalb dieser drei Kleidungsstücke vier verschiedene Schwarzabstufungen zu finden waren: Die Strumpfhose war neu, sah noch nicht ausgewaschen und sehr tief aus. Die Schuhe bestanden aus zwei verschiedenen Arten von Kunstleder. Ein Teil war glänzend, der andere einfach ungepflegt und schäbig. Der Rock wiederum schien den Aufdruck "Lieblingsrock" zu tragen, denn sein Schwarz glich auf eine ausgewaschene Weise einem dunklen Weiß. Wie auch immer man sich dies vorzustellen hat. Ihr Oberkörper war von einem orange-farbenen, weiten Pullover bedeckt. Doch die Wahl ihrer Garderobe war natürlich nicht, was mich auf sie aufmerksam werden ließ. Es war die Übereinstimmung ihrer eindeutigen Hässlichkeit, mit der Hässlichkeit ihres Benehmens, was mir an ihr so sehr gefiel. Sie keuchte, ächzte und stöhnte wundervoll eindringlich. Sie hustete nicht einmal richtig, nein, sie begnügte sich damit auf eine eigensinnige Art zu würgen. Doch tat sie dies nicht durchgängig, natürlich nicht. Ihr Gewürge war nur ein Drittel ihres Verhaltensmusters, ihres Funktionierens. Das mittlere Drittel, um genau zu sein. Am Anfang stand Der-Kopf-Im-Nacken, um ihn, die Augen geschlossen haltend, an die Wand zu lehnen. Diese Haltung sah nicht unbedingt gemütlich aus, doch schien es sie zu entspannen. Wann immer sie sich aus dieser Position hinaus bewegte, folgte ein kurzes Würgen, was sie allerdings wohl als Husten definieren würde. Wie dem aus sei, es klang nach Galle. Anschließend wuchtete sie ihren massigen Oberkörper nach vorne, um einen Ausblick aus dem, sich neben der Einganstür des Wartezimmers befindlichen, Fensters zu erhaschen. Während des Nachvornebeugens gab sie unzufriedene Geräusche von sich. Aus ihrer platt gedrückten, riesigen Knorpelnase stieß sie Unmengen von Sauerstoff aus, mit einer schier unnachahmlichen Lautstärke. Sie schien ungeduldig zu sein, vielleicht jedoch auch einfach nur sehr krank. Mir kam ersterer Gedanke zuerst.

Lesend wartete ich. Zuerst verließ mich die Kleinfamilie, wobei die Mutter beim aufstehen schniefte, als sagte sie auf einer fremden Sprache "endlich". Als nächstes wurden Herr und Frau BlaBla aufgerufen. Die beiden nicht einmal nebeneinander Sitzenden, geschweige denn ein Wort miteinander Wechselnden, 60-jährigen Personen, waren verheiratet und gemeinsam hier. Sie verließen mein Heim wiederum schweigend. Ich war alleine mit meinem Buch.

Montag, 20. November 2006

Aufzeichnungen eines Vandalen

Ich hasse es Dinge wie "Ich habe keine Lust mehr" zu hören. Jedes mal, wirklich jedes gottverdammte mal, frage ich "Worauf", obwohl ich genau weiß wovon die Rede ist. Die Antwort ist, ebenso wie es der erste Ausspruch und die vorhergehende Frage war, stets dieselbe. "Auf alles". An dieser Stelle frage ich mich zweierlei:

1. Sollte es nicht eigentlich "Auf nichts" heissen, zumindest fände ich das Wort "nichts" an dieser Stelle passender als "alles", schliesslich ist der Sinn der Aussage ja eindeutig: "Ich habe auf nichts mehr Lust".

2. Wenn du wirklich auf nichts mehr Lust hast, dir alles gegen den Strich geht, du dein Leben so schrecklich verabscheust und auch nicht denkst es würde alles in allem besser werden, warum fällst du dann nicht endlich diese gottverdammte Entscheidung?

Beide Gedankengänge bleiben unausgesprochen. Ersteres erscheint mir der Ernsthaftigkeit der Situation nicht gerecht zu werden, zweiteres erscheint mir zu ehrlich und zu viel Verantwortung mit sich zu bringen. Überdies weiß ich ganz genau, das von mir keine Ehrlichkeit und keine rationale Herangehensweise gewünscht wird, sondern eine verheuchelte Art der Hilfe. Aber ich bin nett. Ich steige wirklich meistens darauf ein, nenne oberflächliche Gründe warum ihre Situation doch angeblich Potenzial besäße, zähle auf an welchen Dingen sie sich festhalten könnte und behaupte es sei doch alles garnicht so schlimm, obwohl ich weiß wie sehr sie leidet.

Doch es gibt Tage an denen ich mich nicht dazu in der Lage fühle, ihr zu sagen es würde anders, besser werden. An diesen Tagen schluchzt sie in den Hörer, die Nase ist zur selben Zeit verstopft und läuft, was während ausgiebigen Weinens nichts besonderes ist, zumindest nach meinem Erfahrungswert zu urteilen und es wird minutenlang geschwiegen. Ein sehr aktives Schweigen, denn sie ist, wie schon beschrieben, beschäftigt und ich versuche mich dazu zu überreden ihr ein weiteres Mal stinkig geheuchelten Mut zu machen. Eines Abends fragte ich sie allzu berechnend, ob sie wirklich glaube es würde nicht besser werden, ob sie noch Kraft oder Mut besäße. Sie antwortete "Nein, es geht schon so lange so". Der Zweck meiner Argumentation war eindeutig, das hörte man ohne Probleme und sieht man nun aufgeschrieben auf den ersten Blick. Als Antwort auf ihr "Nein, es geht schon so lange so", vernahm sie ein "Ja, dann" aus meinem Munde. Was ich damit eigentlich besagen wollte ist klar.

Es war schon immer so: Meine Meinung zu der gesamten Sache, meine wirklich ehrliche Meinung, meine nicht durch Zwischenmenschliches und Veratntwortungsängste getrübte Meinung, ist, soll sie es doch tun. Utilitaristisch gedacht nähme sie sich mehr Schmerz als potentielles Glück und, ihren Aussagen nach zu urteilen, mehr Verzweiflung als Harmonie. Wer nimmt nicht lieber 80 Euro als 50? Und ich würde schon darüber hinweg kommen, ganz gleich wann, wie lange. Aber kann ich es wagen ihr diese Rechnung ehrlich zu offenbaren? Kann ich mir diese Verantwortung aufbürden? Sollte ich? Es gibt keine Lösung für diese Art von Mensch, für diese Art von Krankheit. Die einzige Lösung beruht auf Drogen, oder anders ausgedrückt, Medikamenten. Aber kann ich es wagen ihr diese Rechnung ehrlich zu offenbaren? Kann ich mir diese Verantwortung aufbürden? Sollte ich?

Ich werde ein verfluchter Mörder sein.

20. November 2006

Der Deutsche verlernt das Töten, das beste Beispiel gab erst heute der süße Emsdettener. Natürlich hatte er auch einen Blog. Und der Abschiedsbrief. Man beachte auch die Kommentare zum letzten Eintrag seines Blogs. Habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Empfinde sehr viel mehr Mitleid als ich seine Tat verurteile.

Mittwoch, 15. November 2006

...

Es ist mitten in der Nacht - 3:46 Uhr um genau zu sein - und ich liege im Bett. Über mir das Dachfenster, unter mir eine Matratze und ein Lattenrost. Der Himmel, die gesamte Welt um mich herum, ist pechschwarz, da meine Augen noch an den dunkelen Zustand des Schlafes gewohnt sind, zwar an einen nicht allzu tiefen Schlaf, dies kann ich am Grad meiner Verwirrtheit feststellen, doch zumindest daran die Äugleich geschlossen zu halten.
Ich höre in regelmäßigen Abständen, beinahe der Regelmäßigkeit eines Metrums gleichkommend, eine Stimme. Eine immer gleichklingende und die selben Wörter nuschelnde Stimme, wobei es "nuschelnd" nicht ganz trifft, denn sie flüstert eher. Ein drohendes, eingängiges Flüstern, ganz nah an meinem Ohr. Die Stimmlage geht in Richtung eines Tenors, definitiv eine männliche Stimme. Sie sagt ein paar wenige Wörter, vielleicht einen sechs-silbrigen Satz, dann ist wieder Stille. Pechschwarze, fünf-Sekunden anhaltende Stille. Dann wieder das Flüstern. Derselbe Vorgang wiederholte sich die ersten fünf bis sechs Male auf nicht sehr furchteinflößende Art, allein deshalb, da ich mich auf den Versuch konzentrierte zu verstehen was die Stimme von sich gab. Doch erfolglos.
Ich sah ein, dass diese Stimme nicht zu verstehen war, womit das Aufkommen der Angst einherging, da die Ablenkung verschwand. Ich merkte wie ich mich ohne eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, einrollte, einigelte, die Knie so nahe an die Brust zu bekommen versuchte wie nur irgend möglich. Ich versuchte mich in mir selbst zu verstecken, glaube sogar kurzzeitig daran das es funktionieren könnte. Als ich einsah wie irrsinnig dieser Gedanke war, suchte ich nach einer neuen Rettung. Ich fragte wer dort sei, doch als Antwort erhielt ich nur immerwieder dasselbe Flüstern, in einer nicht zu verstehenden Form.

Nun fing ich an in Angstzustände zu verfallen. Mein Herz schlug schneller, meine Augen waren aufgerissen und ich erwartete jeden Moment eine gewaltätige Überraschung. Ich kämpfte lange mit mir selber, doch beschloss irgendwann mich aufzusetzen und das Licht anzuschalten. Es war niemand da.

Das Licht wurde wieder ausgeschaltet und ich legte mich, noch immer mit erhöhtem Herzschlag, zurück ins Bett. Ich lag dort und fragte mich ernsthaft ob ich am Vorabend Drogen zu mir genommen hatte. Dem war nicht so, doch es fühlte sich so an.

Heute, zwei Tage nach diesem Vorfall, las ich einen Informationstext über Haschisch. Es wurde zwar nur Bekanntes gesagt, doch ich las das Haschisch, Marijuana, was auch immer, die Grundstimmung eines Menschen verstärke. Ich hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht, obwohl ich hiervon wusste. Mir fiel auf das wann immer ich Marijuana geraucht hatte, was nicht allzu oft war, vielleicht ein Dutzend Male, der Rausch mit Angstzuständen aufgehört hatte. Oft bekam ich diese sogar von Anfang an. Ich dachte immer von mir ein nicht ängstlicher Mensch zu sein. Doch wer weiß woher das rührt?

Dienstag, 14. November 2006

Kriegstdienstverweigerungsschreiben

Hiermit stelle ich den Antrag auf Verweigerung meines Wehrdienstes, da mir dieser aus mehreren Gründen falsch, für mich persönlich nutzlos und unmöglich zu verrichten erscheint.

Mein erstes und gleichzeitig gewichtigstes Argument, den Kriegsdienst zu verweigern, besteht in der Tatsache, dass ich keinen persönlichen Sinn darin sehe, in der Lage zu sein Deutschland zu verteidigen, bzw. im Allgemeinen eine Waffe zusammenzusetzen und mit dieser schießen zu können. Für sinnvoller, aus Gründen der Notwendigkeit, halte ich es, mich in der Altenpflege zu verpflichten, da der Pflege alter, hilfebedürftiger Menschen ein sehr viel höherer Wert beigemessen werden muss. Ohne die Hilfe Zivildienstleistender und FSJ’ler wäre die Betreuung seniler, in die Jahre gekommener Menschen, in der Art wie sie in der Bundesrepublik Deutschland betrieben wird, nicht mehr denkbar. Da meiner Meinung nach mehr Dringlichkeit besteht in einem Altersheim auszuhelfen, bekäme ich ein schlechtes Gewissen, müsste ich den Kriegsdienst verrichten.

Ein weiteres Argument ist, dass ich als Zeuge Jehovas aufgewachsen bin, demnach von frühester Kindheit an gelernt habe, Krieg zu verurteilen, dem Dienst an der Waffe kritisch gegenüber zu stehen und Nächstenliebe zu praktizieren. Selbst wenn ich heutzutage kein religiöser Mensch bin, so haben sich diese Gedanken doch tief in meine Persönlichkeit eingebrannt und der Gedanke auf andere Menschen zu schießen, sie im Notfall sogar erschießen zu müssen, erscheint mir schrecklich. Ich würde mich ebenfalls als Pazifisten bezeichnen, da ich – und ich rede hierbei aus persönlicher Erfahrung – mich nicht einmal gewalttätig verteidigte, griffe mich ein Mensch an. Ich würde die Flucht ergreifen, aber niemals selber handgreiflich werden, demnach erst recht keine Waffe auf einen anderen Menschen richten.

Des Weiteren verstehe ich mich nicht als deutscher, mich verbindet nichts außerordentlich mit diesem Land, nur da ich hier geboren wurde und dadurch selbstverständlich die deutsche Sprache spreche. Ich wohne zwar in diesem Land, könnte aber ebenso in jedem anderen leben. Warum sollte ich also mein „Mutterland“ verteidigen können. Insbesondere in Anbetracht von Organisationen wie der EU, der UNO oder der NATO?

Alles in allem sehe ich mich in keinem Fall in der Lage den Wehrdienst zu leisten.



Fountain,


________________________________
(Unterschrift)

Nachtrag: Was ich mich noch immer frage ist, wozu der Bund einen tabellarischen Lebenslauf meiner Person benötigt? Vielleicht Neugierde, wäre ja nur allzu menschlich.

Donnerstag, 9. November 2006

Münster, Nieberdingstr. 18

Als ich im Umkleide-/Wartezimmer, bereits umgezogen und auf die ärztliche Untersuchung wartend, saß, fiel mir auf das an der weissen Rauhfasertapete ein van Gogh hing. Bereits zuvor, genauer gesagt im Büro der netten Dame welche mir meine Fahrtkosten zurückerstattete, hatte ich einen Monet, auf dem Boden stehend, bemerkt. Diese Büros der Herrschaften die Tag ein Tag aus junge Männer mustern und auf ihre Wehrdiensttauglickeit filtern, sahen stets, wenn auch nicht unbedingt gemütlich, so doch zumindest persönlich aus.
In dem ersten Büro das ich betrat, das der Dame 'Monet', stand auf einem eichernen Dokumenteschrank eine Packung "Werthers Originale" und eine Schachtel "Merci". Dementsprechend sah Madame Monet aus. Überdies war sie kurzhaarig und durch ihre sanfte Art die Tasten des Computers während des Tippens zu berühren, schätzte ich sie als humoristisch einfühlsam ein. Sie war sympathisch und ich witzelte etwas herum. "Kann ich den Führerschein schon wieder einstecken, Madame Monet?" "Nein, den brauche ich gleich noch, aber ich klaue ihn schon nicht." "Das dachte ich mir, schließlich würde es, glaube ich ,auch auffallen."
Das zweite Büro das ich betrat war das einer Dame, die täglich grobgeschätzt fünfzigmal "So, und jetzt noch eine Urinprobe bitte" sagt. Der zu Untersuchende begibt sich an das Pissuar, lässt zwei bis drei Sekunden lang eine gelbe Flüssigkeit auf Keramik stossen, stoppt den Strahl, nimmt einen Plastickbecher den man sonst nur von Parties her kennt, auf denen man in solchen Plastikbechern Alkohol mit Nicht-Alkoholischem mischt, lässt dem Urin wieder freien Lauf bis das Plastikbehältnis halb voll ist, stoppt ein zweites Mal, stellt den Becher aus der Hand auf die Heizung, nur um ein drittes mal zu urinieren beginnen. Während dieses immer gleichen, maschinellen Vorgangs sitzt Madame "So, und jetzt noch eine Urinprobe bitte" auf ihrem schwarzen Bürostuhl und wartet. Hat der zu Untersuchende seine Aufgabe erfüllt, tinkt Madame "So, und jetzt noch eine Urinprobe bitte" einen Stab - Ähnliche kennt man vom Schwangerschaftstest her - in den Urin, schüttelt ihn kurz ab und legt ihn mit der flachen Seite auf die Mitte des Bechers. So liegt er sicherer.
Im dritten Büro das ich betrat saßen ein Doktor und seine Schreibgehilfin. Ich musste mich entkleiden, über Geisteskrankheiten in der Familie und Drogenerfahrungen reden, meine Hoden präsentieren, meine Beine vermessen lassen, Kniebeugen machen und vieles, dem Thema "Wie gut funktioniert diese Maschine denn" ähnelndem mehr. Dieser Doktor und seine Gehilfin wussten nun mehr über mich als meine Eltern und, zumindest körperlich, auch mehr als viele meiner Freunde. "Tauglichkeit-2" lautete das Schlussresümee. "Sie können sich wieder anziehen". Mit jedem Kleidungsstück mehr an meinem Körper striff ich ein wenig Persönlichkeit über, mit jedem Socken verlor ich etwas maschinelles.
Im vierten Büro das ich betrat wartete ein, ebenfalls übergewichtiger, ca. 40-jähriger Mann auf mich. Auf seinem ebenfalls eichernen Schrank standen Honig, Tee, Maggi, ein Wasserkocher und eine Glaspackung voll Instantkaffee. Am Monitor seines PC's hing je ein Bild siner Frau, seines Sohnes und seiner Tochter, letztere im übrigen enorm hübsch. Auf dem Schreibtisch standen drei Bilder, je eins seiner Frau, seines Sohns und seiner Tochter, letztere im übrigen auf jedem Photo schwarz tragend. Auf dem eichernen Schrank neben dem Wasserkocher, stand ein Bilderrahmen in dem ein Photo seiner Famile war. Seine Tochter trug auf diesem Photo ein schwarzes Shirt mit nur sehr kurzen Ärmeln, man konnte erkennen das sie wohl proportionierte Arme hatte, die aufgrund ihrer seitlichen Stellung zudem noch in den Mittelpunkt des Bildes gerieten. Nicht allzu dünn, nicht allzu dick, nicht allzu trainiert. Aufgrund der schwarzen Farbe hebten sie sich elegant vom Rest ihres Körpers ab, in einer Form die an eine junge Eiche, mit deren zwar noch schmalen, doch schon solide tragenden Ästen erinnerte. Sein Chef rief auf dem Firmentelefon an und ich nutzte die Zeit um die Bilder seiner Tochter zu betrachten. Sie war ein junges Exemplar der Mutter, mit der Nase ihres Vaters. Beide Elternteile waren nicht unbedingt hübsch und ich dachte sie müsse in 30 Jahren ebenso verbraucht wie ihre Mutter aussehen. Lichteres Haar, faltige Ringabdrücke unter den Augen und mehr lederig als milchig-zart ausschauende Haut. Ein Vorgang der unabwendbar ist, kein Rostschutzmittel das starg genug wäre. Vater beendete das Gespräch und bemerkte das ich seine Tochter angestarrt hatte. Er fühlte sich mehr geehrt als er mein Verhalten verurteilte und vielleicht wäre er mit einem T2-ler wie mir garnicht so unzufrieden. Nach seiner Meinung ensprach mein Marktpreis dem seiner Tochter, denn mit meinem T2-Status wäre ich als Schwiegersohn akzeptiert worden.
Ich war entlassen, mit der Schlussinformation ich könne in der Bundeswehr alles machen, außer Gebirgsjäger zu werden. Wahrscheinlich da meine Schwester Asthma hat. Wie dem auch sei, ich habe zwei Wochen um mein Kriegsdienstverweigerungsschreiben aufzusetzen.

Vielleicht lag es daran das ich noch müde war, vielleicht auch daran das ich zu jenem Zeitpunkt auf der nicht nebligen Gebirgsspitze meiner ab und zu manischen Persönlichkeit stand. Doch jedenfalls empfand ich den gesamten Ablauf, den kompletten Musterungsapparat als nicht sehr negativ. Ganz im Gegenteil, als sehr ehrlich. Ich wurde eingestuft, in eine deutliche Schublade eingeschoben, mir wurden keine unnötigen Fragen gestellt, ich wusste stets was als nächstes kommen würde, wann ich zu warten hatte, wann ich zu urinieren hatte, wann mein Genital sichtbar sein musste und wann meinen Arm zu heben hatte. Wie auf Knupfdruck. Alles in allem eine angenehme Pause davon, zu jedem Zeitpunkt ein 'Ich' sein zu müssen. Keiner dieser Menschen erfuhr Wirkliches über mich. Ich glaube gerade in diesem Zustand zeigt sich was Ich wirklich heißt. Ich möchte damit nicht sagen das der Wehrdienst charakterlich sonderlich stärkt, oder einem Menshen ein bewußteres Ich-Gefühl gibt, denn sobald der Wehrdienstleistende wieder in eine feste Gruppe integriert ist und langzeitig mit ihr arbeitet, beginnt Projektion und Heuchelei von neuem.

Mir bleibt nur noch zu sagen das der unsympathischste Garcon den ich sah, ein möchtegern Rebell war, der sich weigerte sich ihm Umkleideraum umzuziehen. Ich fragte ob man sich in diesem Raum umzöge und er antwortete: "Eigentlich schon, aber wenn du dasselbe vorhast wie ich", hiermit meinte er wohl den Zivildienst, "kannst du deine KLamotten auch einfach anlassen. Ist weniger Arbeit." Ich antwortete es sei sicherlich mehr Arbeit sich lange rechtfertigen zu müssen, nur um sich wenige Minuten später vor dem Arzt auszuziehen. Er zuckte mit den Achseln, während sich in seinem Gesicht sowohl die Linke Wange samt Teilen der Lippe, als auch das Auge samt Augenbraue arrogant nach oben verzog. Daraufhin zog ich mich um. In seinem Gesicht fiel darufhin die linke Wange samt Lippe wieder in ihrem Normalzustand zurück, wofür sich jedoch das rechte Auge zusammen mit der rechten Augenbraue auf die Höhe des anderen Auges begab. Als sagte er "wie du meinst, kleiner Wehrdienstleistender".
Da fällt mir noch etwas ein: Heute hat sich die Zahl der Personen, die mein Genital gesehen haben, verdoppelt.

Freitag, 3. November 2006

Noch ohne Titel

Ich stelle keine Fragen mehr,
Trotzdem ich keine Antwort hab'.
Denn jede Frage ist so leer,
Wie ihre Antwort ohne Rat.

Dies' Leben ist doch nur Verrat
Und niemand zu sich selber fair:
Kein Sinn, doch wer baut seinen Sarg
Dem sinngemäß und nimmt den Speer?

Kein Mut, nur Wein in meinem Blut,
Bewußtsein, Ausgeliefertsein.
Wär' Gleichmut auch ein Handelsgut
Wär' jeder Dollarschein gleich Mein.

Ohne Wert jedes Besitztum,
Ganz gleich ob, egal ob nicht.
Und ist es so, so sei es drum,
keine Tat ist eine Pflicht.

Mittwoch, 1. November 2006

...

Was man macht den ganzen Tag:
Ist im Gestern Ordnung machen.
Und was man vor Wochen sauber aufreihte,
Irgendwo wiederzusuchen

Was man macht die ganze Nacht:
Ist Schlafen oder eben nicht.
Was man als Kind war was man gestern sah,
Irgendwo voraussehbar

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Die toten Seelen.



Judith Hermann
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Ein Held unserer Zeit.



Franz Kafka
Das Schloß



Arthur Schnitzler
Sterben

.

"Ich habe meine eigenen Ideen über die Kunst und zwar bestehen sie aus Folgendem: Was die meisten Menschen als fantastisch betrachten, halte ich für das innerste Wesen der Wahrheit. Trockene Beobachtungen alltäglicher Banalitäten betrachte ich schon lange nicht mehr als Realismus - es ist genau das Gegenteil. Ich bin Realist im höheren Sinne es Wortes." - Fjodor M. Dostojewski

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